Sperrfrist: Dienstag, 24. Juni 2008, 18 Uhr

Präsident Peter Straub: Politiker tragen Verantwortung für Existenzrecht Israels Bekämpfen von Antisemitismus und Antizionismus permanent notwendig Stuttgart. An die Gründung des Staates Israel im Mai 1948 hat der Landtag von Baden-Württemberg am Dienstagabend, 24. Juni 2008, in einer Feierstunde erinnert. Im Mittelpunkt der Veranstaltung stand eine Rede zum Thema „60 Jahre Israel“ von Shimon Stein, israelischer Botschafter in Deutschland von 2001 bis 2007. Zuvor hatte Landtagspräsident Peter Straub (CDU) bei der Begrüßung der über 300 Gäste erklärt, Politiker trügen die Verantwortung für das Existenzrecht Israels. Das Bekämpfen von Antisemitismus und Antizionismus sei permanent notwendig. Wörtlich führte der Präsident aus: >> Wie können wir Deutsche dem Staat Israel zum 60. Geburtstag die Reverenz erweisen? Ich meine: Mit das wertvollste Geschenk ist, aufmerksam zuzuhören, wenn dessen Situation und dessen Erwartungen im Kontext der Zeit reflektiert werden. Aufmerksam zuzuhören als Geschenk – das bedeutet: Erst Sie, meine Damen und Herren, machen durch Ihr Kommen aus diesem Vortragsabend eine Jubiläumsgabe. Umso herzlicher begrüße ich Sie zu einer Gratulationscour der besonderen Art. Wir bekräftigen damit dreierlei: Erstens, dass wir unverbrüchlich an der Seite Israels stehen gegen alle, die es – wie der Präsident des Iran – von der Landkarte tilgen wollen. Zweitens, dass wir jeglichen Shoa-Leugnern und jeglichen Antisemiten entschlossen entgegentreten – egal, ob hier bei uns oder auf dem internationalen Parkett. Und drittens bekräftigen wir, dass wir mit Israel und seinen Menschen fühlen, dass wir Verständnis für ihre Zwangslage haben, dass unsere Hinwendung einem Staat gilt, der die universellen Grundwerte teilt und der trotzdem nicht in Frieden und in Sicherheit leben kann. Hinwendung bewirkt haben gewiss die Klänge, die wir gerade vernommen haben. Virtuos und charmant dargebracht von zwei außergewöhnlichen Instrumentalisten: vom Duo Brillaner – sprich von der Israelin rumänischer Herkunft Shirley Brill an der Klarinette und ihrem Lebensgefährten, dem Israeli polnischer Herkunft Jonathan Aner am Flügel. Ihnen beiden ein ganz großes Dankeschön für den meisterhaften Auftakt, der unsere Gehörgänge und unsere Konzentration – buchstäblich – „eingestimmt“ hat. Sie werden den offiziellen Teil des Abends klangvoll umrahmen und so musikalisch ergänzen, was gesprochen wird. Genauer: was gesprochen wird von Ihnen, sehr geehrter Herr Botschafter Stein. Ich heiße Sie auf das Herzlichste willkommen hier in Stuttgart. Und ich danke Ihnen für Ihre Bereitschaft, diese Jubiläumsrede zu halten. 33 Jahre haben Sie im auswärtigen Dienst Israels gearbeitet. Zweimal wurden Sie nach Deutschland entsandt. Das erste Mal in den Achtzigerjahren. Und die – wie Sie selbst sagten – „Krönung“ Ihrer Karriere ist gewesen, dass Sie Ihr Land von 2001 bis 2007 als Botschafter in Deutschland vertreten konnten. Diplomatie spielte sich für Sie nicht bloß bei Verhandlungen, bei Konsultationen oder auf Empfängen ab. Sie machten es sich zur Aufgabe, in der breiten Öffentlichkeit zu wirken und die Oberflächlichkeit des Alltags zu durchbrechen. Sie waren deshalb ein Diplomat der etwas anderen Art: einer mit einer kantigen, ja zuspitzenden Sprache; einer, der uns unbequeme Fragen stellte; einer, der das israelische Lebensgefühl ungefiltert transportierte; einer, der den robusten Realpolitiker, den scharfen Analytiker und den eleganten Kommunikator fugenlos zu verbinden wusste. Sie, sehr verehrter Herr Stein, sind das Kind europäischer jüdischer Eltern, die den Holocaust überlebt hatten. Sie sind studierter Historiker. Sie sind in der Welt herumgekommen. Und Sie sind seit einem Dreivierteljahr den Zwängen des Tagesgeschäfts enthoben, ohne dass Sie die Hand vom Puls der Zeit genommen hätten. Kurzum: Sie sind damit in jeder Hinsicht prädestiniert, uns zu einem – in des Wortes ureigener Bedeutung – eindrucksvollen Abend zu verhelfen. Und das Haus des Landtags ist dafür ein sehr passender Ort. Denn Israel beobachtet natürlich genau, wie sich unsere Demokratie entwickelt, wie stabil und wie wehrhaft sie sich zeigt. Wir – die Politikerinnen und Politiker in den Parlamenten und in der Exekutive – tragen die Verantwortung für das permanent notwendige Bekämpfen des Antisemitismus. Erst vergangene Woche wurden wir wieder gewarnt vor einer neuen hinterhältigen Art der Judenfeindschaft: dem „Antisemitismus ohne Antisemiten“, der sich als Kritik an Israel tarnt. Der moderne Antisemit trauert um die Holocaust-Opfer, bekennt sich aber unbefangen zum Antizionismus und stört sich daran, dass sich Israel wehrt, dass Israel nie mehr Opfer werden möchte – ja, dass es Israel gibt. Hinzu kommt die Tendenz, dass sich Judenhass zum gemeinsamen Nenner aller Extremisten entwickelt und so schleichend, aber scheinbar unaufhaltsam die Gesellschaft von den Rändern her unterwandert. Dagegen müssen alle Demokraten ankämpfen – jeder an seiner Stelle und doch in einem bewussten Miteinander. Speziell in diesem Sinne begrüße ich namentlich: Frau Bundesministerin Dr. Schavan; Frau Sozialministerin Dr. Stolz, die Herren Minister Rech und Stächele; sowie die Herren Fraktionsvorsitzenden Mappus und Schmiedel. Heute Abend sollten wir auch daran denken, dass unsere Gesellschaft nicht ausschließlich im Christentum wurzelt. Das Jüdische gehört zu unseren Ursprüngen. Jüdisches Leben gibt es hier zu Lande seit dem Jahr 321. Die Juden in Deutschland sind angestammte Teile des Ganzen, Mitbegründer der Nation und Quellen der Kultur. Mendelssohn, Heine, Marx, Einstein, Kafka, Rathenau – diese und andere große Namen prägten die Wissenschaft, Kunst und Wirtschaft Deutschlands. Die jüdischen Gemeinden, die bei uns gottlob wieder erblühen, sind nichts Aufgepfropftes. Mein besonderer Willkommensgruß gilt deswegen den Repräsentanten der jüdischen Gemeinden und des jüdischen Lebens in Baden-Württemberg. Stellvertretend genannt seien: die Herren Widerker und Fern von der Israelitischen Religionsgemeinschaft Württemberg; Herr Landesrabbiner Wurmser; Herr Seldner von der Israelitischen Religionsgemeinschaft Baden; Herr Schürholz von der Deutsch-Israelischen Gesellschaft; sowie der Protagonist einer echten Verständigung und Nestor eines gedeihlichen Miteinanders: Meinhard Tenné. Hoch geschätzte Gäste sind zudem die vielen Damen und Herren, die sich ehrenamtlich kümmern um ehemalige Synagogen, um Gedenkstätten, um das Verankern der Freundschaft zu Israel in der Gesellschaft. Ihr bürgerschaftliches Engagement hat einen eigenen Wert, weil es Konkretes bewirkt und aus sich heraus wächst. Ich nutze deshalb gerne die Gelegenheit, Ihnen herzlich zu danken für alles, was Sie lokal und regional leisten für eine Erinnerungskultur, die diesen Namen verdient. Meine Damen und Herren, wohl kein Staat ist unter schwierigeren Umständen entstanden als Israel. Noch am Gründungstag vor 60 Jahren erklärten ihm sechs arabische Nachbarn den Krieg. Erst während des Überlebenskampfes entstanden Institutionen, Siedlungen, Städte und die Anfänge eines Wirtschaftslebens. Auch ein israelisches Volk gab es 1948 noch nicht – nur Altsiedler, Überlebende der Shoa und Flüchtlinge vor Stalin. Seither hat Israel Einwanderer aus 100 Ländern nicht nur aufgenommen, sondern integriert – und zwar hauptsächlich über das Hebräische, die alle verbindende Sprache. Wo einst vieles schlicht Wüste war, findet sich jetzt ein Hightech-Wirtschaftsstandort, eine funktionierende Demokratie, ein Sozialstaat, der in seine Menschen und deren Bildung investiert. Die Statistiken von Unesco und Weltbank sehen Israel stets unter den ersten 15 – obwohl es seit 60 Jahren tagtäglich existenziell bedroht wird. Der Ausnahmezustand ist der Normalzustand für Israel. Doch genau das darf niemand akzeptieren. In Sicherheit zu leben gehört zu den Menschenrechten. Israel muss werden können, was es immer sein wollte: ein Hort des Unbedrängtseins, ein gelobtes Land für seine Menschen – und für unsere universellen Werte. Wir wünschen Israel, dass es endlich Partner findet, mit denen ein nachhaltiger Frieden geschlossen werden kann. Ein Frieden, der die Nachbarn immunisiert gegen islamistische Einflüsterungen. Ein Frieden, für den es sich lohnt, vermeintlich unpopuläre Entscheidungen durchzufechten und schmerzhafte Kompromisse zu machen. Begleiten wir Israel dabei als Freunde, die sich der bleibenden Verantwortung aus dem Gestern stellen. Als Freunde, die deswegen den Austausch auf Zukunftsfeldern wie Wissenschaft, Forschung und Kultur forcieren. Und als Freunde, die auch – so wie heute Abend – aufmerksam zuhören können.