Ständiger Ausschuss berät über Rehabilitation von verurteilten homosexuellen Männern
Stuttgart. Der Ständige Ausschuss des Landtags hat sich in seiner Sitzung am Donnerstag, 14. Juli 2022, auf Antrag der Grünen-Fraktion mit der strafrechtlichen Rehabilitierung der nach dem 8. Mai 1945 wegen einvernehmlicher homosexueller Handlungen verurteilten Personen befasst. Wie der Vorsitzende des Gremiums, der CDU-Abgeordnete Guido Wolf, mitteilte, zeigten sich die Abgeordneten überrascht, dass in Baden-Württemberg angesichts Tausender Verurteilungen bislang nur 26 Anträge auf Erteilung einer Rehabilitierungsbescheinigung gestellt wurden.
Nach Angaben des Vorsitzenden nannten die Abgeordneten in der Sitzung mehrere mögliche Gründe für die geringe Zahl. Zum einen sei eventuell vielen Betroffenen gar nicht bekannt, dass diese Möglichkeit bestehe. „Die Abgeordneten haben deutlich gemacht, dass in der Öffentlichkeit deutlich stärker für Rehabilitation und Entschädigung der Betroffenen geworden werden sollte“, sagte Wolf. Zum anderen vermuteten die Abgeordneten, dass viele Betroffene durch strafrechtliche Verfolgung und Inhaftierung eine „extreme Traumatisierung“ erlitten hätten und diese Situation nicht erneut durchleben wollten. Auch spiele möglicherweise eine Rolle, dass die Bundesrepublik Deutschland erst spät entschieden habe, Verantwortung für das Unrecht zu übernehmen.
Wolf zufolge begrüßten die Abgeordneten die Möglichkeiten zur strafrechtliche Rehabilitation und für Entschädigungen. In einem einfachen Verfahren können Rehabilitationsbescheinigungen bei den zuständigen Staatsanwaltschaften und Entschädigungen beim Bundesamt für Justiz beantragt werden. Die Frist für die Beantragung von Entschädigungen wurde um fünf Jahre bis Juli 2027 verlängert. Wie viele Menschen in Baden-Württemberg bislang eine Entschädigung erhalten haben, ist nicht bekannt, weil dafür ausschließlich das Bundesamt für Justiz zuständig ist.
Der Paragraf 175 des Strafgesetzbuchs war – in wechselnden Straftatbeständen – bis zum Jahr 1994 in Kraft. Er kriminalisierte Homosexualität und legitimierte staatliche Verfolgung von schwulen und bisexuellen Männern. 1994 beschloss der Bundestag die Streichung des Paragrafen. Bis dahin wurden in Deutschland Zehntausende Männer verurteilt. Wie viele davon in Baden-Württemberg, kann nach Angaben des Justizministeriums nicht mehr vollständig erfasst werden.
Für den Straftatbestand „Einfache Unzucht zwischen Männern“ (1957 bis 1969 und 1992 bis 1994) weise die Strafverfolgungsstatistik über 5.400 Verurteilungen auf, davon auch für Heranwachsende und Jugendliche. Die meisten Verurteilungen seien Ende der 1950er und Anfang der 1960er Jahren mit 500 bis 600 Fällen jährlich erfolgt, doch selbst in den 1990er Jahren habe es noch mehrere Dutzend Verurteilungen gegeben, sagte Guido Wolf.
Am 22. Juli 2017 ist das Gesetz zur strafrechtlichen Rehabilitierung der nach dem 8. Mai 1945 wegen einvernehmlicher homosexueller Handlungen verurteilten Personen in Kraft getreten. Das Gesetz hebt entsprechende strafrechtliche Urteile auf, regelt die Beantragung von Rehabilitationsbescheinigungen, die Entschädigungen und die Tilgung der Eintragung im Bundeszentralregister.