Straub hat Spitzenamt eineinhalb Jahrzehnte mit Bedachtsamkeit und Begeisterung ausgeübt

Stuttgart. Als exzellenten Vertreter der Ersten Staatsgewalt hat Landtagsvizepräsident Wolfgang Drexler (SPD) am Ende der Plenarsitzung am Mittwoch, 2. März 2011, Landtagspräsident Peter Straub (CDU) bezeichnet, der mit Ablauf der 14. Wahlperiode nach über 26-jähriger Abgeordnetentätigkeit und knapp 15-jähriger Amtszeit als Landtagspräsident aus dem Parlament ausscheidet. Straub habe mit Bedachtsamkeit und Begeisterung agiert, so Drexler in seiner Würdigung, die unmittelbar der Schlussansprache des Präsidenten folgte. Straub habe sich um Landtag, Föderalismus und Europa wahrlich verdient gemacht. Drexlers Rede hatte folgenden Wortlaut:

>>Lieber Herr Kollege Straub, jetzt muss ich als Ihr Vertreter zu Ihrem Libero werden. 29 Kolleginnen und Kollegen treten am 27. März nicht mehr an – Sie haben aber bloß 28 erwähnt. Ungenannt blieb ausgerechnet einer, der ebenfalls Rekordhalter ist: Sie, lieber Kollege Straub!

Kommt es wie geplant, endet Ihr Wirken als Landtagspräsident am 11. Mai – das heißt: nach einer Amtszeit von – auf den Tag genau – 14 Jahren und 11 Monaten. Damit übertreffen Sie alle Ihre Vorgänger! Eine Strecke im XXL-Format der Regentschaften von Konrad Adenauer, Helmut Kohl oder Erwin Teufel. Bei dieser Laufleistung im harten Alltagsbetrieb gilt für Menschen das Gleiche wie für Autos: Kleine Lackschäden durch Steinschlag sind kaum zu vermeiden. Das jedoch trugen Sie als bekennender Liebhaber bulliger Karossen mit spezifischer Fassung.

Wir schauen heute aber nicht durch eine Lupe, sondern durch ein Weitwinkelobjektiv. Und wir finden bestätigt, dass es besonderer Qualitäten bedarf, um ein Spitzenamt eineinhalb Jahrzehnte effektiv und unangefochten auszuüben. Sie agierten mit Bedachtsamkeit und Begeisterung. Sie beherrschten beides: ehrgeizige Anstöße zu geben und routiniert abzuwarten. Nichts konnte Sie aus dem Gleichgewicht bringen – und das schuf eine entspannt-konstruktive Atmosphäre.

Sie waren ein Sachwalter der windschnittigen Vernunft. Ablehnungen wurden von Ihnen so formuliert, dass sie eine freundliche Einladung beinhalteten, sich doch noch zu einigen. Integrativ operierten Sie auch im Landtagspräsidium. Angesichts der mächtigen Fraktionschefs orientierten Sie sich an Ihrem südschwarzwälder Landsmann Jogi Löw und dessen Maxime: „Der Star ist die Mannschaft“.

Sie arbeiteten mit leisen Tönen und lösten Probleme geschmeidig. Deshalb wurde Ihre „Performance“ manchmal unterschätzt - was Sie wesensgemäß mit einem stoischen Lächeln quittierten.

Die von Ihnen gewürdigte Parlamentsreform beruht auf einem breiten Konsens. Konsens ist wie Frieden kein Naturzustand: Er muss gestiftet werden. Das taten Sie. Ganz zum Schluss streikten zwar Ihr ABS und ESP; Sie gerieten ein bisschen ins Schleudern. Davor waren Sie jedoch der Manager und Mentor des interfraktionellen Einvernehmens! Diese Rolle spielten Sie auch bei den anderen größeren oder kleineren Änderungen in unserer Geschäftsordnung, bei der Abgeordnetenentschädigung oder der Fraktionsfinanzierung seit 1996.

Durchgängig war Ihnen wichtig, Arbeitsbedingungen der Abgeordneten und Fraktionsstäbe zu verbessern, mithin unsere Stellung gegenüber der Exekutive zu stärken und so die von der Verfassung geforderte Gewaltenteilung schon beim Handwerkszeug abzusichern. Deshalb forcierten Sie beispielsweise die Einführung und das ständige Aktualisieren unserer Informations- und Kommunikationstechnik. Zu „Perestroika“ kam auch bei Ihnen „Glasnost“: Unser parlamentarisches Tun transparenter zu machen, zählte zu Ihren Kernanliegen. Fünf „Tage der offenen Tür“ seit dem Jahr 2000 und die Liveübertragungen unserer Plenarsitzungen im Internet sind formidable Belege dafür.

Ein nachhaltiges Verdienst von Ihnen ist, dass der Landtag seiner historischen Verantwortung gerecht wird und dezidiert zu einer Gedenkkultur beiträgt, die diese Bezeichnung verdient. Durch die von Ihnen begründeten dezentralen Veranstaltungen am 27. Januar – dem „Gedenktag für die Opfer des Nationalsozialismus“ – haben Sie dem gemeinsamen Erinnern eine – anerkanntermaßen – würdige und wirksame Form gegeben.

Sie waren der zweite Mann im Land und dennoch ein exzellenter Vertreter der Ersten Staatsgewalt. Sie wollten, dass der Landtag ein einladendes Haus und echtes Forum ist. Ihre südbadische Lebensfreude mit einer leichten Neigung zum Opulenten ließ Sie ein hervorragender Gastgeber sein. Man sagt, das Protokoll am Spanischen Hof sei das strengste weltweit. In puncto Vollkommenheit steht ihm das Protokoll des Landtags gewiss nicht nach. Auch da wurde Ihre Handschrift offenkundig.

Im Innenleben des Landtags hat sich unter Ihrer Ägide Etliches getan. Die Hülle ist jedoch unverändert geblieben. Gerade insoweit hätten Sie gerne getan, was man beim Ausscheiden aus einem Amt eigentlich zu vermeiden sucht: Sie hätten gerne eine pulsierende Baustelle hinterlassen – mindestens eine Baugrube für einen neuen Plenarsaal. Dieses Manko, lieber Kollege Straub, können Sie verschmerzen. Denn Sie haben etwas anderes mannigfaltig gebaut: politische Brücken zu unseren europäischen Nachbar- und Partnerregionen. Politische Brücken hinauf zum Polarkreis und hinunter nach Madeira. Und selbstverständlich über den Bodensee, den Hoch- und den Oberrhein.

Als alteingesessener Waldshuter sind Sie von Haus aus ein Grenzgänger. Es lag Ihnen daher gleichsam im Blut, die grenzüberschreitende Zusammenarbeit zu erweitern und unser Land auf europäischer Ebene zu vertreten. In der „Außenpolitik“ wurden Sie zu einem Perpetuum mobile – zu einem baden-württembergischen Genscher: fast so viel auf Reisen wie dieser und scheinbar ebenso mit der Fähigkeit gesegnet, an zwei Orten auf unserem Kontinent gleichzeitig zu sein.

Ihre Mega-Investitionen an Zeit und Kraft haben sich gelohnt. Ich nenne nur den Oberrheinrat, zu dessen Vätern sie zählten, und die Gründung der trinationalen Metropolregion Oberrhein. Und ich sage mit Hochachtung: Nicht jedem Protagonisten der Subsidiarität und der regionalen Vielfalt gelingt es in Brüssel, ein derart respektierter Akteur zu werden. Mit diplomatischer Finesse nutzten Sie die vielen Fäden, die bei Ihnen in wachsender Zahl zusammenliefen. Der Höhepunkt Ihrer gesamten Karriere war deshalb zu Recht Ihre Präsidentschaft im „Ausschuss der Regionen“ der EU von 2004 bis 2006.

Hinter alldem verschwindet Ihr Abgeordnetendasein, lieber Kollege Straub. Dabei stehen Sie heute mit 27 Mandatsjahren neben den Kollegen Fleischer und Pfister auf dem Podest der Ausdauer-Champions. Ende November 1984 folgten Sie als MdL dem im Dienst verstorbenen Wirtschaftsminister Rudolf Eberle. 1992 wurden Sie Zweiter stellvertretender Präsident und 1996 eben Präsident. Ein Werdegang oberhalb der von Ihnen auch sonst großzügig interpretierten Richtgeschwindigkeit. Dazu trug bei, dass Sie wie der Kollege Scheuermann drei Untersuchungsausschüsse bestens geleitet haben.

Lieber Kollege Straub, Sie haben sich wahrlich verdient gemacht:

- um den Landtag und damit um das Land Baden-Württemberg,

- um den Länderparlamentarismus und damit um den Föderalismus,

- um die Subsidiarität und damit das Europa, das wir alle wollen.

Herzlichen Dank dafür!<<