Tag der offenen Tür im Landtag eröffnet
Präsident Straub: Einblick in das Räderwerk des Landtags und in die menschliche Seite der Politik Es gilt das gesprochene Wort! Stuttgart. Den Tag der offenen Tür im Landtag von Baden-Württemberg hat Landtagspräsident Peter Straub am Samstagvormittag, 13. Juli 2002, in Stuttgart im Plenarsaal des Parlaments eröffnet. Vor zahlreichen Besucherinnen und Besuchern sagte der Präsident wörtlich: >>In einer Zeit, in der Quiz-Sendungen beliebt sind wie nie zuvor, sei es mir gestattet, Sie, meine Damen und Herren, mit einer Frage zu begrüßen, deren richtige Antwort bei Günter Jauch mindestens 125.000 Euro wert wäre. Und diese Frage lautet: Wie oft hat der Landtag von Baden-Württemberg in den letzten 50 Jahren getagt? Die richtige Antwort ist: 1.233 Mal - und wenn man die Sitzungen der Verfassunggebenden Landesversammlung hinzurechnet, kommt man sogar auf 1.294 Plenarsitzungen. Allein diese Zahlen machen deutlich: Der Katalog der Veranstaltungen zu unserem Landesjubiläum wäre unvollständig, wenn der Landtag nicht diejenigen eingeladen hätte, in deren Auftrag diese parlamentarische Arbeit stattgefunden hat - also Sie, meine Damen und Herren, die Bürgerinnen und Bürger Baden-Württembergs. Und weil die Bürgerinnen und Bürger in der Demokratie der Souverän sind, wäre es genau genommen angezeigt gewesen, für Sie den roten Teppich auszurollen. Diese Geste war aber schlicht unmöglich. Dass der Landtag von Baden-Württemberg im Bundesvergleich das sparsamste Parlament ist, zeigt sich nämlich unter anderem daran, dass er über eine derartige Requisite nicht verfügt. Und das bedeutet: Zwar nicht formvollendet, dafür umso herzlicher möchte ich Sie, meine Damen und Herren, zu unserem Tag der offenen Tür begrüßen. Ich freue mich, dass Sie den Weg nach Stuttgart auf sich genommen haben, um den Landtag - sprich: "Ihr" Landesparlament - und dessen Innenleben kennen zu lernen. Vielleicht wäre ein roter Teppich heute ohnehin ein bisschen deplatziert. Denn heute soll es ungezwungen zugehen. Meine Abgeordnetenkolleginnen und -kollegen und ich - wir haben zum Tag der offenen Tür auch deshalb eingeladen, weil wir ernst machen wollen mit der Aufforderung, die vorne auf dem offiziellen Veranstaltungskalender für das Landesjubiläum steht - also mit der Aufforderung: "Feiern Sie doch, wo Sie wollen." Wir wollen mit Ihnen, meine Damen und Herren, hier feiern - hier, wo die Landespolitik stattfindet. Konkreter ausgedrückt: Alle, die hier tätig sind, wollen Ihnen heute den Landtag in besonderer Transparenz präsentieren - durchaus anspruchsvoll, aber ohne protokollarischen Ernst. Spezielle Informationsangebote, vielfältige Diskussions- und Dialogmöglichkeiten, offene Türen in den Apparat der Landtagsverwaltung und in die Arbeitsstäbe der Fraktionen, unterhaltsame Darbietungen und zahlreiche Gelegenheiten zum Mittun sollen Ihnen zweierlei zeigen: zum einen das Räderwerk des Landtags, das notwendig ist, damit der Parlamentsbetrieb funktioniert, und zum anderen die menschliche Seite der Politik - denn vielleicht trifft das Bild doch nicht so ganz zu, das man landläufig von uns - "DEN Politikern" - hat. Mit einem Satz ausgedrückt: Heute sind wir voll und ganz für Sie da. Denn das ist leider im Normalbetrieb nicht möglich. Wir freuen uns zwar Jahr für Jahr über 40.000 Besucherinnen und Besucher. Dabei sind selbstverständlich die Plenartage besonders gefragt, weil da am meisten los ist. Man sieht live, was man aus dem Fernsehen kennt: die Debatten im Plenarsaal, die Geschäftigkeit in der Lobby. Der Haken daran ist, dass wir Abgeordneten und insbesondere die Regierungsmitglieder an Plenartagen in ein enges Terminkorsett gezwängt sind und dass hinter den Kulissen - von der Landtagsverwaltung und in den Beraterstäben der Fraktionen - gepowert werden muss. Dies wiederum führt dazu, dass die Eindrücke und Beobachtungen der Besucherinnen und Besucher sehr unterschiedlich sind: Von Anerkennung bis zu Enttäuschung reichen die Reaktionen. Oft bleibt allerdings unberücksichtigt, dass man in zwei Stunden eigentlich nur einen verschwindend geringen Ausschnitt des Parlamentsalltags erleben kann und vor allem dass viele Sachdiskussionen nichtöffentlich stattfinden - sprich in den Ausschüssen sowie vor allem in den Fraktionsgremien. Neben dem Informieren soll heute aber das Wichtigste sein, dass wir, meine Damen und Herren, miteinander ins Gespräch kommen - in den erwähnten Diskussions- und Fragerunden, die im Programm vorgesehen sind, und natürlich gerne spontan im kleineren oder größeren Kreis. Kritische Themen gibt es ja genügend. Mich als Hausherrn interessiert zum Beispiel, wie Sie den Landtag als Institution und die Arbeit von uns Abgeordneten im Alltag wahrnehmen und für wie relevant Sie das halten, was wir tun. Dass ein Landtag zusammentritt, ist zweifellos kein Wert an sich. Entscheidend kommt es darauf an, wie groß und praktisch bedeutsam die Regelungskompetenzen sind, die ihm zustehen. Leider können wir insoweit nicht leugnen, dass die Gestaltungsrechte der Länderparlamente schwinden, weil immer mehr in Berlin oder Brüssel entschieden wird. Und hinter dem Wort "leider" verbirgt sich nicht nur ein abstraktes Bedauern oder ein kleinliches Revierverhalten. Denn einer der Gründe, warum Deutschland nicht als Hort der Reformfreudigkeit angesehen werden kann und in internationalen Vergleichen - abgesehen von der Fußball-WM - immer öfter nur einen Mittelfeldplatz einnimmt, liegt zweifellos im übertriebenen Streben nach von oben übergestülpten Detailregelungen, die den Wettbewerb um die besten Lösungen ersticken. Ich möchte deshalb Ihren Blick, meine Damen und Herren, dafür schärfen, dass es einen wesentlichen Unterschied macht, ob Baden-Württemberg nur im Bundesrat durch seine Regierungsvertreter abstimmen kann oder ob der Landtag von Baden-Württemberg Spielraum hat, selbst Regelungen zu treffen. Zur Debatte steht insoweit nicht zuletzt, wie viel das Wahlrecht als Bürgerin oder als Bürger Baden-Württembergs wert ist und wie sehr sich politisches Engagement hier im Land lohnt. Oder zugespitzt formuliert: Bei einem Tag der offenen Tür des Landtags in zehn oder zwanzig Jahren soll mehr besichtigt werden können als ein "Politik-Museum". Am heutigen Tag ist das Haus des Landtags von Baden-Württemberg alles andere als ein Museum. Heute darf Politik sogar zum Event werden - die Betonung liegt allerdings auf "heute". Heute hoffen wir, dass wir durch eine gelungene Mischung aus Information und Unterhaltung Ihre Erwartungen erfüllen, meine Damen und Herren. Und ich gehe noch einen Schritt weiter: In der Philosophie wird nämlich ein Fest zu feiern als "Zustimmung zur Welt" interpretiert. Dass Sie heute mit uns auf spezifische Weise 50 Jahre Baden-Württemberg feiern wollen, lege ich deshalb auch als Zustimmung zum Landtag aus. Und diese Zustimmung möchte ich nicht schmälern, indem ich noch länger rede. Deswegen tue ich von hier aus nur noch eines, nämlich den entscheidenden Satz zu sprechen: Der Tag der offenen Tür im Haus des Landtags von Baden-Württemberg ist eröffnet!