Vizepräsidentin Vossschulte eröffnet Jugendlandtag „Demokratie braucht die Bereitschaft zum Konsens“
Es gilt das gesprochene Wort!
Stuttgart. „Demokratie braucht die Bereitschaft zum Konsens.“ Darauf hat Landtagsvizepräsidentin Christa Vossschulte (CDU) am heutigen Samstag, 20. März 2010, bei der Eröffnung des Jugendlandtags im Stuttgarter Landesparlament hingewiesen. Der Jugendlandtag, der gemeinsam vom Landtag, dem Landesjugendring, dem Ring politischer Jugend und der Landeszentrale für politische Bildung veranstaltet wird, bietet den rund 140 teilnehmenden jungen Menschen Gelegenheit, ihnen wichtige politische und gesellschaftliche Fragen aufzugreifen. Im Gespräch mit Landtagsabgeordneten können sie ihre Wünsche und Anregungen dann im Einzelnen vorbringen. In ihrer Begrüßung sagte Landtagsvizepräsidentin Christa Vossschulte wörtlich: >>„Die Menschen bauen zu viele Mauern und zu wenig Brücken“ – dieses Wort stammt von Sir Isaac Newton, dem Entdecker des Gravitationsgesetzes. Es ist mithin dreihundert Jahre alt. Trotzdem könnte es über diesem „Jugendlandtag“ stehen. Denn die Mahnung des großen Naturwissenschaftlers und Philosophen gilt immer noch. Und bei uns – leider – auch für das Verhältnis zwischen Jugendlichen und Politikern: Manchmal scheint es fast, als lebten wir – ziemlich abgeschottet – in Parallelwelten. Mehr Brücken zu bauen tut not. Brücken des direkten Dialogs. Und dieser „Jugendlandtag“ soll in diesem Sinn zu einer tragfähigen Verbindung werden. Wir, die „MdL“ – die Mitglieder des Landtags –, wir möchten auf kurzem Weg Zugang erhalten zu dem, was junge Menschen im Alltag politisch und gesellschaftlich bewegt. Und Sie, liebe „MdJL“ – „Mitglieder des Jugendlandtags“ –, Sie sind aufgefordert, buchstäblich „rüberzubringen“, was Sache ist. Wobei die Titulierung als „MdJL“ einen ernsten Kern hat: Sie sollen sich als Vertreterinnen und Vertreter einer 9 Prozent starken Bevölkerungsgruppe fühlen – nämlich jener 900.000 Baden-Württemberger, die zwischen 10 und 18 Jahre jung sind. Insoweit hat der „Jugendlandtag“ dem „Landtag“ übrigens eines voraus: Weibliche und männliche „Abgeordnete“ halten sich zahlenmäßig fast die Waage. Der „Jugendlandtag“ ist also bei einer zentralen Kennziffer erheblich repräsentativer als der „Ü-18-Landtag“! Kurzum: Ich freue mich sehr, dass Sie unsere Einladung angenommen haben, die genannte Schlucht des Nicht- und Halbwissens zu überwinden; und dass Sie bereit sind, Ihre Freizeit an einem Frühlingssamstag in dieses Projekt zu investieren.Herzlich willkommen hier im Haus des Landtags von Baden-Württemberg! Und schon jetzt: Herzlichen Dank fürs intensive Mitwirken! Wir alle wissen: Lorbeer will verdient sein. Gut gemeint ist nicht automatisch gut gemacht. Einen Aspekt können wir freilich bereits jetzt auf der Habenseite verbuchen: Dieser „Jugendlandtag“ relativiert das pauschale Schlagwort von der „unpolitischen Jugend“. Die Wahrheit ist facettenreicher – und damit allerdings auch kniffliger. Sie, liebe „MdJL“, stellen – einerseits – unter Beweis: Möglichkeiten, sich einzubringen, werden genutzt. Interesse ist vorhanden. Es braucht lediglich Kristallisationspunkte. Und das können auch klassische „Locations“ sein – wie der Landtag. Andererseits sind Sie daheim vermutlich nicht von allen Gleichaltrigen dazu beglückwünscht worden, dass Sie hier und heute politische Standpunkte formulieren und Impulse geben können. Politik erscheint vielen Jugendlichen als eine zerklüftete, bizarre Landschaft aus Parteien, Gremien und administrativen Apparaten, die herumstreiten oder sich in drögen Ritualen ergehen. Das wird nicht als „cool“ empfunden. Und schon gar nicht als „geil“. Vielleicht sollte man so sagen: Die Demokratie ist die „uncoolste“ Staatsform, ausgenommen sämtliche anderen. Denn bei allen Mängeln der Demokratie: Es gibt erwiesenermaßen kein erfolgreicheres Verfahren, um Probleme ausgleichend und versöhnlich zu lösen. Eine Demokratie kann kein harmonisches Idyll sein. Demokratie lebt davon, dass konträre Meinungen, Anliegen und Ziele artikuliert werden – und dass dafür engagiert gestritten wird. Diktaturen organisieren Jubel und Zwangsharmonie; Demokratien fördern Kritik und Debatten. Dieser „Jugendlandtag“ macht das konkret: Wir die „MdL“ hoffen auf klare, gerne unangenehme Botschaften und auf gehaltvolle, ja schwere politische Kost von Ihnen, den „MdJL“. Niemand darf jedoch politisches Tun mit falschen Erwartungen überfrachten. Auch wir heute in diesem „Jugendlandtag“ nicht. Denn Demokratie ist ein Verfahren zum Herbeiführen mehrheitlich getragener Ergebnisse. Demokratische Lösungen sind weder durch autoritäre Kommandos noch im Hauruckverfahren zu haben – schon gar nicht in unserer komplexen, oft widersprüchlichen Zeit. Die Süddeutsche Zeitung hat kürzlich in einem Kommentar treffend geschrieben: „Ein Demokrat schlägt nicht schnell zu, sondern nestelt herum; er lässt nicht die Fetzen fliegen, sondern versucht, die Knoten zu lösen.“
Anders gesagt: Demokratie braucht die Bereitschaft zum Konsens. Sonst verkehrt sich ihr struktureller Vorteil in ein Hemmnis. Häufig resultieren Innovationen gerade aus dem intelligenten Überwinden von Gegensätzen, aus klugen Kompromissen – sprich: aus dem Bauen von Brücken. Brücken sind eine Urform dessen, was neudeutsch „Win-win-Situation“ heißt. Lassen Sie uns diesen „Jugendlandtag“ exakt dazu machen! <<