Vortrag im Haus des Landtags über Schillers politisches Vermächtnis an die Europäer
Referent: Dr. Peter Hölzle/Grußwort von Landtagspräsident Peter Straub Stuttgart. Unter dem Titel „Seid umschlungen, Millionen!“ befasste sich der Stuttgarter Publizist Dr. Peter Hölzle am Dienstagabend, 1. März 2005, im Landtag mit Schillers politischem Vermächtnis an die Europäer. Friedrich Schiller, dessen Todestag sich am 9. Mai 2005 zum 200. Mal jährt, wurde damit an historischer Stelle gewürdigt, hat er doch sein Drama „Die Räuber“ in der Hohen Carlsschule verfasst, an jenem Ort also, wo heute das „Haus des Landtags“ steht. Dem Vortrag schloss sich eine Schiller-Rezitation durch die Akademie für gesprochenes Wort an. Begrüßt wurden der Referent, die Künstler sowie die zahlreichen Gäste von Landtagspräsident Peter Straub. Er sagte wörtlich: >>Schillerjahr 2005 – das bedeutet: Friedrich Schiller ist vielerorts präsent. Fast möchte man sagen: Er wird herumgereicht. Heute Abend jedoch kehrt er zurück. Punktgenau sogar! Denn 48° 46’ nördlicher Breite und 9° 11’ östlicher Länge – exakt hier, wo seit viereinhalb Jahrzehnten der Landtag von Baden-Württemberg seinen Platz hat, befand sich ehedem die Hohe Carlsschule, eine Urform der Elite-Universitäten. Und hier studierte Friedrich Schiller nicht nur Medizin – hier schrieb er seine „Räuber“. Mit dieser „Standortbestimmung“ heiße ich Sie alle, meine Damen und Herren, herzlich willkommen zu unserem Vortragsabend „Seid umschlungen, Millionen!“ Schillers politisches Vermächtnis an die Europäer. Die Gebäude der Hohen Carlsschule sind in den Bombennächten des Jahres 1944 zerstört worden. Dem von Schiller eingehauchten „Genius loci“ aber bietet der Landtag gerne Obdach – selbst wenn nicht jede legislative Entscheidung geprägt sein kann vom Elan des Idealismus, also vom Triumph des hehren Willens über die äußeren Widrigkeiten. Anders gesagt: Der Landtag betätigt sich weder als Trittbrettfahrer der unvermeidlichen Schiller-Vermarktung; noch soll unser Landsmann in eine Zeitmaschine gesteckt und plump vereinnahmt werden. Deswegen habe ich eingangs bloß von Rückkehr, nicht von Heimkehr gesprochen. Zu Hause fühlte sich Schiller in der Hohen Carlsschule ja nicht unbedingt. Und oben auf Schloss Solitude wurde er nicht alt. Der frühere Stuttgarter Oberbürgermeister Manfred Rommel resümiert das Verhältnis zwischen Schiller und Herzog Carl Eugen von Württemberg in seinen Büchern augenzwinkernd mit den Worten: „Begrenztes Wohlwollen, aber auch moderate Unterstützung durch Herzog Carl Eugen ließen den Regimentsmedikus Schiller zum Dichter reifen. Hätte der Herzog Schiller so verhätschelt wie König Ludwig II. von Bayern seinen Richard Wagner, wäre das große deutsche Genie vielleicht verkümmert.“ Langer Vorrede kurzer Sinn: Durch diese Veranstaltung möchte der Landtag gehaltvoll, doch unprätentiös dreierlei tun. Erstens den Menschen Friedrich Schiller ehren – Friedrich Schiller, – den sperrigen Sohn unseres Landes und epochalen Dichterfürsten, – den freiheitsdurstigen Geist und unbeugsamen Denker, – den Beseelten, der in seinem Schaffen weder von kärglichen Umständen noch von körperlichen Gebrechen gebremst werden konnte. Zweitens möchte der Landtag Friedrich Schillers Werk würdigen. – Würdigen als Weg hin zur Tugend, zur inneren Freiheit, zum Schönen und Wahren. – Würdigen als ein Stück obligatorische Allgemeinbildung und als gemeinsamen intellektuellen Bezugspunkt in einer Zeit, in der unser Fachwissen immer unübersichtlicher wird und die Spezialisierungen zunehmen. – Und würdigen als Prüfstein, welche individuellen Anstrengungen wir unserem Verstand noch abverlangen: Denn der Wert gerade von Schillers Texten liegt nicht darin, dass sie geschrieben sind, sondern darin, dass sie gelesen und bedacht werden. Drittens schließlich möchte der Landtag die spezifische Tradition der früheren Schillerjahre fortführen. Ob 1859, 1905 oder 1955 – jede Zeit versuchte, im Phänomen Schiller zu spiegeln, was sie bewegte. Angesichts des Ringens um die Europäische Verfassung reizt es 2005, Friedrich Schiller in seiner europäischen Dimension zu reflektieren, ihn in die europäische Geistesgeschichte einzuordnen und damit für uns Heutige Gewissheit zu erzeugen. Umso mehr freut mich die lange Gästeliste des heutigen Abends, die überschrieben sein könnte mit dem geläufigen Vers aus „Den Kranichen des Ibykus“: „Wer zählt die Völker, nennt die Namen / Die gastlich hier zusammenkamen?“ Trotzdem will ich wenigstens einige von Ihnen, meine Damen und Herren, ausdrücklich begrüßen. Mein erster Willkommensgruß gilt selbstredend Ihnen, verehrter Herr Dr. Hölzle. Sie werden uns „Schillers politisches Vermächtnis an die Europäer“ erläutern – nicht wie ein Notar bei der Testamentseröffnung, sondern wie wir es von Ihnen aus Ihrer reichen Tätigkeit als Journalist, Publizist und Autor gewohnt sind: beschlagen, tiefgründig und spannend. Obwohl gebürtiger Südbadner, sind Sie, verehrter Herr Dr. Hölzle, ein leidenschaftlicher Baden-Württemberger, den die inzwischen höchst gedeihliche Heterogenität des deutschen Südwestens fasziniert. Deutlich geworden ist diese Affinität in dem Buch „Kontrapunkt Baden-Württemberg“, das Sie mit Karl Moersch anlässlich des Landesjubiläums vor drei Jahren verfasst haben. Sie sind nicht nur ein exzellenter Kenner von Land und Leuten und der Landesgeschichte – als renommierter Germanist, Historiker, Literatur- und Politikwissenschaftler verfügen Sie zudem über den polyglotten Horizont, den das Thema erfordert. In Ihren Veröffentlichungen haben Sie sich speziell der Literatur Deutschlands und Frankreichs, der Kultur- und Außenpolitik und dem Föderalismus gewidmet. Schon jetzt danke ich Ihnen, verehrter Herr Dr. Hölzle, für Ihren Beitrag, durch den der Landtag einen Edelstein zum Veranstaltungsmosaik des Schillerjahres beizusteuern vermag. Wenn Sie, verehrter Herr Dr. Hölzle, unerwartet ausgefallen wären, hätte ein anderer aus unserer großen Gemeinde der „Schiller-Verehrer“ aus dem Stand einspringen können – einer, dessen Namen ich bereits genannt habe, nämlich Sie, verehrter Herr Staatsminister a. D. Professor Moersch. Ein herzliches „Grüß Gott“ Ihnen, dem „wandelnden Kompetenzcenter“ der Landesgeschichte. Geadelt wird unsere Veranstaltung durch die Anwesenheit Seiner Königlichen Hoheit Max Markgraf von Baden. Herzlich willkommen, Königliche Hoheit! Mit besonderer Freude begrüße weiter – die Kolleginnen und Kollegen des Landtags – an der Spitze Frau Vizepräsidentin Christa Vossschulte und die Herren Fraktionsvorsitzenden Dr. Ulrich Noll und Winfried Kretschmann; – die ehemaligen Bundestags- und Landtagsabgeordneten – vorneweg Herr Bundestagspräsident a. D. Phillip Jenninger sowie Herr Landtagspräsident a. D. Erich Schneider. Genauso freue ich mich, dass unter uns sind – Herr Generalbundesanwalt a. D. Professor Kurt Rebmann und der ehemalige Präsident des Bundesgerichtshofs, Herr Dr. Karlmann Geiß. Bemerkenswert – und sicher mehr als eine diplomatische Geste – ist, dass zahlreiche Vertreter und Vertreterinnen des Konsularischen Korps gekommen sind, darunter der Französische Generalkonsul, Herr Dr. Henri Reynaud. Meine Damen und Herren, Friedrich Schiller hat Deutschland nie verlassen und doch mit seinen Dramen Europa konsequent durchmessen: – Italien im „Fiesco"; – Spanien und die Niederlande im „Don Carlos"; – Böhmen und Mähren im „Wallenstein", – England und Schottland in „Maria Stuart"; – Frankreich in der „Jungfrau von Orleans", – die Schweiz im „Tell", – Russland im „Demetrius". Friedrich Schiller hat uns so vieles vermittelt: – einen plastischen Eindruck von den europäischen Völkern, – eine nachhaltige Konkretisierung der universellen Grundwerte – und seine idealistische Vision der Menschen, die zu Brüdern werden. Natürlich hilft uns Friedrich Schiller nicht bei der Lösung aktueller Probleme. Er weitet jedoch den Blick für das Prinzipielle. Und er bestärkt uns im Wissen, dass es sie gibt: die oft beschworene, bisweilen aber noch schemenhafte „Seele Europas“. Wir sollten dankbar sein für Friedrich Schillers Werke. Unsere Aufgabe ist, dieses Erbe aktiv zu bewahren. Auch um unserer selbst willen. Hinzu kommt nämlich ein zweiter Aspekt: Schillers Sprachkunst! Die mediale Bilderflut steigt ebenso wie die visuelle Animation. Unser Denken indes basiert weiterhin auf unserer Sprache. Friedrich Schiller als echtem Meister der Sprache zu begegnen, nutzt folglich stets aufs Neue. Anspruchsvolle Sprache fördert anspruchsvolles Denken und immunisiert gegen Phrasen aller Art. Deshalb wird sich an den Vortrag von Herrn Dr. Hölzle eine Schiller-Rezitation durch die „Akademie für gesprochenes Wort“ anschließen. Nach dem „Hauptgang“ erwartet uns somit ein verbales Sahnehäubchen. Ein Genuss, der ein Dessert sein soll und hoffentlich zugleich Appetit macht, sich Friedrich Schiller jenseits der Zitatenhandbücher zu Gemüte zu führen. Kurzum: Es ist höchste Zeit, Ihnen, verehrter Herr Dr. Hölzle, das Mikrofon zu überlassen – was hiermit gerne geschieht.<<