Wanderausstellung über Kurt Georg Kiesinger startet im Landtag von Baden-Württemberg
Grußwort von Landtagspräsident Peter Straub Stuttgart. An Kurt Georg Kiesinger, dessen Geburtstag sich am 6. April 2004 zum 100. Male gejährt hat, erinnert eine Ausstellung im Stuttgarter Landtag. Zusammengestellt wurde die Retrospektive über das Leben und politische Wirken des ehemaligen baden-württembergischen Ministerpräsidenten und Bundeskanzlers vom Hauptstaatsarchiv Stuttgart. Mit Fotos und Karikaturen, persönlichen Schriftstücken, Kunst- und Alltagsgegenständen spannt sich der biografische Bogen von der Wiege bis zur Bahre des gebürtigen Schwaben und überzeugten Europäers. Bei der Eröffnung der Wanderausstellung am Dienstagabend, 27. April 2004, sprachen Landtagspräsident Peter Straub, Kultusministerin Dr. Annette Schavan, der frühere Stuttgarter OB Prof. Dr. h. c. Manfred Rommel sowie Dr. Albrecht Ernst vom Hauptstaatsarchiv Stuttgart. Die Begrüßung der zahlreichen Gäste durch Landtagspräsident Straub hatte folgenden Wortlaut: >>Kurt Georg Kiesinger kann man auch mittels der Musik näher kommen. Mozarts „Jagdquartett“ ist deswegen nicht zufällig erklungen: Mozart war sein Lieblingskomponist. Und nach dieser gekonnt vorgetragenen musikalischen Begrüßung heiße ich Sie, meine Damen und Herren, natürlich besonders herzlich willkommen zu unserem Kurt Georg Kiesinger gewidmeten Abend. Am 6. April jährte sich zum 100. Mal der Geburtstag Kurt Georg Kiesingers. Das Hauptstaatsarchiv hat aus diesem Anlass eine Wanderausstellung geschaffen, – die den Lebensweg Kurt Georg Kiesingers nachzeichnet und die Stationen seines Werdens und seines politischen Wirkens beleuchtet, – die damit einen Eindruck vermittelt, wie facettenreich der Mensch und Politiker Kurt Georg Kiesinger gewesen ist, – und die zugleich verdeutlicht, dass sich diese Facetten zu einem festen, unverwechselbaren Ganzen gefügt haben. Für den Landtag von Baden-Württemberg ist es selbstredend ein nobile officium, der erste Ort zu sein, an dem diese Retrospektive gezeigt wird. Darüber hinaus nehmen wir die Gelegenheit gerne wahr, unsere Hochachtung zu bekräftigen vor den herausragenden Verdiensten Kurt Georg Kiesingers. Seinen Verdiensten als parlamentarischer Wegbereiter der klugen Außenpolitik Adenauers, die das isolierte Deutschland in die Weltgemeinschaft zurückführte. Seinen Verdiensten als Ministerpräsident, der unserem Land grundlegende und nachhaltige Impulse für dessen Entwicklung zu einem modernen, weltoffenen Gemeinwesen verlieh und der so die innere Einheit Baden-Württembergs – substanziell und mental – entscheidend voranbrachte. Und seinen Verdiensten als Bundeskanzler, der das Schiff der Großen Koalition nicht nur in der Strommitte hielt, sondern unter dessen Ägide es in einer Zeit des Umbruchs gelang, die Staatsfinanzen zu konsolidieren, die Wirtschaft anzukurbeln, die Beziehungen zu den westlichen Verbündenden zu beleben und die Ostpolitik neu zu justieren. Ich freue mich deshalb sehr, dass die Einladung ein derart stattliches Echo gefunden hat und dass das öffentliche Leben heute Abend breit repräsentiert ist. Uns wird heute Abend ein Privileg zuteil, das ein intellektueller Hochgenuss ist. Sie, sehr verehrter Herr Professor Rommel, werden uns nämlich mit dem Menschen im Politiker Kurt Georg Kiesinger authentisch vertraut machen. Über Kurt Georg Kiesinger sagte man ja, er habe seine Regierungsämter wie einen Hermelin zu tragen gewusst. Sie, sehr verehrter Herr Professor Rommel, werden dieses Gewand ein bisschen lupfen. Sie waren einer der drei baden-württem¬bergischen Ministerialbeamten, die 1966 nach Bonn entsandt wurden, um Kurt Georg Kiesinger bei der Regierungsübernahme zu assistieren. Und inzwischen wird Sie mit Kurt Georg Kiesinger eine geistige Wahlverwandtschaft verbinden, die sich nicht zuletzt aus der gemeinsamen Affinität zu Hegel speisen dürfte. Wer Sie, sehr verehrter Herr Professor Rommel, bittet, einen Menschen zu beschreiben, der darf keine Idealisierung erwarten. Sie sehen gerade große Persönlichkeiten ohne Verklärung, dafür mit jener heiteren Gelassenheit, die den Namen Manfred Rommel zu einem Synonym für passionierte Lebensbejahung hat werden lassen. Herzlich willkommen hier im Landtag und herzlichen Dank, dass Sie sich zur Verfügung gestellt haben. An seinem 80. Geburtstag vor zwanzig Jahren wurde Kurt Georg Kiesinger in einem Interview gefragt, warum er seine Memoiren noch nicht vollendet habe. Seine Antwort lautete, „weil ich mit den Jahren die Zeit immer besser verstehe“. Und dieses Phänomen gilt gleichsam wechselseitig: Die Zeit lernte erst mit den Jahren, Kurt Georg Kiesinger, sein Wirken und seinen Impetus zu verstehen. Die Urteile über Kurt Georg Kiesinger sagen mithin viel aus über den jeweiligen Zeitgeist und dessen Kinder. So gehörte Kurt Georg Kiesinger zu der Generation, die im Einzelfall Auskunft zu geben hatte über das individuelle Verhältnis zum Nationalsozialismus. Andererseits mussten wir erfahren: Ohne falsche Überheblichkeit persönliche Haltungen und Entscheidungen in schwierigsten Jahren zu bewerten, das ist eine Fähigkeit, die uns Menschen nicht automatisch zuwächst. Oder betrachten wir, wie oft der Regierungsstil Kurt Georg Kiesingers süffisant charakterisiert worden ist mit Formeln wie „monarchistische Noblesse“, „Geschick für die Staatsdarstellung“, „Meister der drei R: Reden – Reisen – Repräsentieren“. Wer von uns spürt indessen nicht, dass das Ansehen der Res publica schwindet, wenn Haltung und Stil gering geachtet werden, wenn die Kultur respektvoller Begegnung und der Sinn für gepflegte Sprache zu verkümmern drohen? Oder nehmen wir Kurt Georg Kiesingers Verständnis vom Wesen der Politik und sein Verhältnis zur Macht? „Mehr der Staatsphilosophie als der Macht zugewandt“, „Poet und Humanist in der Tradition Ludwig Uhlands“, „abwägende, von hoher Bildung erfüllte Besonnenheit“: in den publizistischen Ehrerbietungen schwang bisweilen jene Gönnerhaftigkeit mit, die man gemeinhin Auslaufmodellen angedeihen lässt. Und heute? Vermissen wir nicht diese Art des Tiefgangs, dieses Denken in Zusammenhängen und diese Bereitschaft zu Zwischentönen angesichts der gewitzten Sprunghaftigkeit und der schlagzeilengerechten Oberflächlichkeit, die unseren politischen Alltag zu beherrschen scheinen? Ich meine: Sich mit Kurt Georg Kiesinger und seiner Lebensleistung zu befassen, verspricht mannigfachen Gewinn. Ich wünsche deshalb dieser Ausstellung eine große Resonanz – hier im Haus des Landtags und überall, wo sie im Lauf des Jahres gezeigt wird. Möge sie zudem die Erkenntnis untermauern, dass es sich auch jenseits des 100. Geburtstages lohnt, Kurt Georg Kiesinger und sein Selbstverständnis zu reflektieren.<< Die Ausstellung „Kurt Georg Kiesinger (1904 - 1988): Rechtslehrer - Ministerpräsident - Bundeskanzler“ ist im Haus des Landtags noch bis 12. Mai 2004 zu sehen. Öffnungszeiten: montags - freitags von 8:00 - 18:00 Uhr. Weitere Stationen der Ausstellung sind Rottweil, Laupheim, Ravensburg, Konstanz, Berlin, Albstadt sowie Sankt Augustin.