25. März 2025

Demokratie unter Druck

Aras hält eine Rede

Meine Damen und Herren,

das Format „Demokratie unter Druck“ biete ich seit mehreren Jahren an – die Inhalte verändern sich, aber das Prinzip ist gleich. Und ich freue mich jedes Mal aufs Neue, verschiedene Orte im Land zu besuchen und ins Gespräch zu kommen über unsere Demokratie, über das größte Geschenk der Geschichte.

Die Formulierung „Demokratie unter Druck“ wurde leider in den vergangenen Jahren immer richtiger. Wir alle spüren, wie der Druck steigt. Innen wie außen. Und auch, wenn ich mich in meinem Impuls auf den Druck von innen konzentrieren möchte, geht der Druck von außen ja damit einher: Wenn Russland uns mit hybriden Kriegsmitteln angreift, mit Desinformation und Propaganda etwa, wenn es sich in Wahlen einmischt und wirtschaftlichen Druck ausübt, dann doch mit dem Ziel, unsere demokratische Gesellschaft zu destabilisieren.

Wenn Donald Trump die Vereinigten Staaten von Amerika vor unseren Augen in eine Autokratie, in eine Kleptokratie umbaut, dann ermutigt er damit auch die Demokratiefeinde hierzulande. Und wenn die Tech-Oligarchen in den USA ihre sogenannten Sozialen Medien weiter enthemmen, indem sie Fake-News und Hatespeech dulden oder teils sogar selbst verbreiten, dann radikalisiert sich auch bei uns der Diskurs.

All diese Gefahren greifen ineinander, sie bedingen und verstärken sich. Da sind noch nicht einmal das neoimperialistische Bestreben von Autokraten und Diktatoren erwähnt. Und nicht die Kriege, die weltweit toben. Und da ist noch nicht der europaweite Rechtsruck erwähnt, der eine geeinte Antwort Europas auf der Weltbühne erschwert.

Da braucht es schon viel Zuversicht, um nicht den Mut zu verlieren. Und da braucht es Mut, um zuversichtlich zu bleiben. Aber Demokratie lebt von der Idee, dass wir es morgen besser haben könnten als heute. Den Kopf hängen zu lassen, oder gleich ganz in den Sand zu stecken, ist keine Option. Ratlosigkeit können wir uns als Gesellschaft nicht leisten, und Tatlosigkeit erst recht nicht! Denn die Feinde der Demokratie rütteln auch im Innern sehr, sehr fleißig an deren Grundfesten. Sie verachten und bekämpfen unsere Art zu leben – ob von rechts, von links oder aus islamistischen Kreisen. Und es ist an uns, sie aufzuhalten.

Wachsam müssen wir sein. Wachsam gegenüber den Angriffen auf die Demokratie. Die größte Gefahr geht derzeit nachweislich vom Rechtsextremismus aus, deshalb werde ich mich im Folgenden darauf konzentrieren. Rechtsextrem bedeutet immer auch, Gleichheit zu bekämpfen. Rechtsextreme vertreten ein Weltbild, dass nicht alle Menschen gleich an Würde und Rechten geboren sind. Ein Weltbild, dass gar nicht alle Menschen gleich sein sollten, dass manche Menschen wertvoller seien als andere. Damit meinen sie vor allem weiße, heterosexuelle Männer ohne Behinderung. Alle, die nicht in dieses Bild passen, sind die Leidtragenden. Sie werden von Rechtsextremen entrechtet oder sogar bedroht.

Das betrifft auch die Inklusion. Inklusion ist ein Menschenrecht. Aber das sehen die Feinde der Gleichheit anders. Sie sagen, Inklusion sei eine Belastung für unsere Gesellschaft. Die AfD-Fraktion im Deutschen Bundestag stellte 2019 eine Kleine Anfrage, mit der sie unter anderem wissen wollte, welche „volkswirtschaftlichen Verluste durch die nicht genutzten Erwerbspotenziale“ von Menschen mit psychischen Erkrankungen und Beziehern von Erwerbsminderungsrenten bestehen. Also anders gesagt, wie sehr psychisch kranke Menschen die Volkswirtschaft und die Sozialsysteme belasten würden. 

Im Sommer 2023 nannte Björn Höcke, Vorsitzender der in Thüringen als gesichert rechtsextrem eingestuften AfD, die Inklusion ein „Ideologieprojekt“; man müsse das Bildungssystem von der Inklusion „befreien“, denn es würde die Schüler „nicht leistungsfähiger machen“. Damit will er sagen, Menschen mit Behinderung seien eine Belastung. Diese Aussage ist mit der Verfassung nicht vereinbar und inakzeptabel. Denn in einer Demokratie gehören alle Menschen dazu, die sich im Rahmen des Grundgesetzes bewegen. Inklusion ist nicht verhandelbar!

Solche Aussagen sind ebenfalls Angriffe auf die Demokratie. Und wenn wir wachsam sind, erkennen wir: Rechtsextreme Angriffe auf die Demokratie finden Tag für Tag statt. Im Großen, als strategische Operation einer rechtsextremen Partei und ihrer Förderer. Aber auch im Kleinen, im Alltag, auf der Straße.

Die Antonio Amadeu Stiftung beschreibt rechte Gewalt und Rechtsextremismus als ein „Grundrauschen“ in Deutschland. All das war zwar nie ganz weg. Aber wenn wir nur 10 Jahre zurückdenken und dann wieder auf unsere Gegenwart schauen, erschreckt es doch, wie laut dieses Grundrauschen geworden ist – in so kurzer Zeit! Wie der Fremdenhass und der Hass auf Minderheiten immer unverhohlener rausgegrölt wird, wie er stetig weiter einsickert in unsere Debatten, in unsere Parlamente.

Und wenn wir weitere 10 Jahre in die Zukunft denken und annehmen, dass es schlimmer wird, dass womöglich die Demokratieverachter an die Macht kommen, dass sie umsetzen, was sie offen ankündigen, wenn wir uns das vorstellen und dann wieder auf unsere Gegenwart schauen: Dann ist die Zahnlosigkeit der Demokratinnen und Demokraten doch ziemlich zum Verzweifeln, bisweilen sogar entsetzlich absurd. Die Frage unserer Zeit lautet: Haben wir alles versucht? Haben wir alles getan, was in unserer Macht steht, um den Aufstieg der Demokratiefeinde zu verhindern?

Wir müssen feststellen, wie fruchtlos der zögerliche Umgang mit den Demokratiefeinden war und ist: Noch immer bereitet man ihnen die Bühne. Noch immer lässt man sie ihre Lügen zur besten Sendezeit erzählen. Noch immer wird so getan, als ginge es ihnen um Argumente. Und als wären alle, die demokratisch gewählt sind, auch automatisch Demokraten, einfach nur Wettbewerber im politischen Streit, die eine gleiche Behandlung verdienen. Diese Absurdität ist im Bundestagswahlkampf noch weiter vorangeschritten. Wenn etwa das Bundesamt für Verfassungsschutz seit Monaten seinen Bericht unter Verschluss hält, in dem wahrscheinlich eine Hochstufung der AfD vom Verdachtsfall zum Beobachtungsfall erfolgt – dies würde bedeuten: gesichert verfassungsfeindlich.

Der Bericht wurde unter Verschluss gehalten mit der Begründung, der Verfassungsschutz müsse die staatliche Neutralität im Wahlkampf wahren. Ich halte es da mit den vielen Rechtswissenschaftlern, die sagen: Im Gegenteil besteht doch eine Pflicht, die Öffentlichkeit über Verfassungsfeinde zu informieren, ob Wahlkampf ist oder nicht!

Warum sind wir – der Rechtsstaat, der Journalismus, aber auch die Politik – so zaghaft? So zaghaft im Angesicht der Menschenverachtung und Demokratiefeindlichkeit? Es erinnert an das Drama von Max Frisch, Biedermann und die Brandstifter. Biedermann, die Hauptfigur, traut sich nicht, die offensichtlichen Brandstifter in seinem eigenen Haus in die Schranken zu weisen. Er ist aus falscher Toleranz heraus so feige, dass am Ende die ganze Stadt in Flammen aufgeht.

Meine Damen und Herren,

was uns alle in unserem Handeln leiten kann, ist das Toleranzparadox von Karl Popper: keine Toleranz der Intoleranz! Wer die roten Linien unseres Grundgesetzes und unseres demokratischen Miteinanders überschreitet, der muss aufgehalten werden! Der darf auch ausgeladen werden! Im Grundgesetz steht nirgendwo, dass Demokratiefeindlichkeit im Parlament vertreten sein muss. Vielmehr gilt das Gegenteil!

Ich möchte nicht missverstanden werden: Ich glaube nicht, dass alle, die die AfD wählen, rechtsextrem sind. Aber klar ist: Sie wählen eine Partei, die in ihren Reihen Rechtsextreme hat und die rechtsextreme Positionen vertritt. Wer Rechtsextreme wählt, bringt Menschen in Gefahr. Und dass manche sie womöglich in gutem Glauben wählen, ändert nichts daran, dass viele ihrer Funktionäre in böser Absicht handeln.

Was also tun? Viel, sehr viel wurde in den vergangenen 10 Jahren versucht, Verständnis aufzubringen für jene, die rechtsextrem wählen. Oft, viel zu oft wurden Sprache und Positionen der Rechtsextremen übernommen, um jene Wählerschaft zurückzugewinnen – wider besseres Wissen, dass dies allein das Original stärkt und niemals die Kopie! Aber wenig, viel zu wenig wurde jene erhört, die von rechter Gewalt betroffen sind. Oder jene, die sich um unsere Demokratie sorgen und deshalb die größten Demonstrationen in der Geschichte der Bundesrepublik ins Leben gerufen haben!

Und das kann jede und jeder Einzelne tun: Nicht nur selbst Haltung zeigen, sondern auch Haltung einfordern: durch Leserbriefe, Briefe an Abgeordnete, durch Kommentare. Darauf pochen, dass unsere offene Gesellschaft nicht weiter die Intoleranz toleriert. Natürlich gilt es auch, im Alltag selbst klare Kante zu zeigen gegen Ausgrenzung und Hass. Nicht das rassistische oder ableistische Witzchen überhören, sondern dagegenhalten. Ins Gespräch gehen mit jenen, die Vorurteile pflegen. Damit sich das demokratiefeindliche Grundrauschen nicht weiter normalisiert, sondern damit es leiser wird und möglichst für immer verstummt. Da sind wir alle gefragt.

Meine Damen und Herren,

und noch etwas können wir alle tun, um die Demokratie zu verteidigen. Etwas vermeintlich Banales. Nämlich an die Demokratie zu glauben. Das mag erstmal kitschig klingen. Aber seit Jahren nimmt der Rückhalt für die Demokratie ab. Immer mehr Menschen wünschen sich die harte Hand des Autoritären.

Ich sagte eingangs: Demokratie lebt von der Idee, dass wir es morgen besser haben könnten als heute. Daran müssen wir glauben. Natürlich ist der Druck von innen und außen immens. Natürlich gibt es viel berechtigten Frust in der Bevölkerung, Frust über Fehler und Versäumnisse in der Politik. Glauben Sie mir, einigen Frust teile ich! Es mangelt teilweise an Kooperation, Konzeption und nicht zuletzt an guter Kommunikation. Zur Wahrheit gehört aber auch: Politik ist das Entscheiden im Dilemma. Die perfekte Lösung, die für alle zufriedenstellende Antwort gibt es nicht. Gleichzeitig drängen politische Fragen so sehr, dass Entscheidungen unausweichlich sind. Ein Mindestmaß an Frust gehört deshalb leider zur Demokratie. Wir in der Politik müssen aber Orientierung geben, und das erfolgt leider nicht immer und nicht auf allen Ebenen.

Nein, es läuft bei Weitem nicht alles perfekt! Aber, meine Damen und Herren, es läuft doch wirklich viel gut!
Die größte Lüge der Demokratiefeinde, die Lüge, auf der all ihre anderen Lügen aufbauen, die Lüge, die am meisten Wut und Angst schürt, ist die vom Staatsversagen. Aber glauben wir denen nicht, die behaupten, dass unsere Demokratie versagt, dass alles nur den Bach runtergeht!

Ein langjähriger Sprecher der AfD sagte einmal unverblümt: „Je schlechter es Deutschland geht, desto besser für die AfD“. Wir müssen uns gegen ihre Ohnmachts-Unterstellung und ihre Untergangserzählung wehren, indem wir eine Lanze für die Demokratie brechen und klarstellen: Unser Rechtsstaat, unsere Demokratie funktioniert! Wir leben in einem der freiheitlichsten, friedlichsten und demokratischsten Länder der Welt: Das ist kein Versagen, das ist ein Segen!

Meine Damen und Herren,

es gibt ein Projekt von "ZEIT Online" namens „Plan D“. Der Kern des Projekts ist eine große Umfrage. Die Leserinnen und Leser können zwei offene Fragen beantworten, nämlich: „Was ist Ihr Problem, was im Alltag nicht funktioniert?“ Und: „Wie reparieren Sie Deutschland?“ Auf den ersten Blick scheint das D in „Plan D“ für Deutschland zu stehen. Aber womöglich steht es auch für Demokratie. Denn natürlich sind die Fragen, was im Argen liegt und was wir dagegen tun, eng damit verknüpft, ob wir zuversichtlich in die Zukunft blicken. Überwiegt das Gefühl der Ohnmacht, ist die Demokratie angezählt. Damit sie sich aufrafft, müssen alle mit anpacken.
Bislang sind bei „Plan D“ über 10.000 Antworten eingegangen. Zugegeben: Nur 2000 davon sind Lösungen. Da ist also noch vieles zu tun. Aber die Lösungen sind oft konkreter als die Probleme, als eine diffuse Unzufriedenheit. Sie beweisen, dass jede und jeder Einzelne einen Unterschied machen kann. Und sie strahlen Selbstwirksamkeit aus, vielleicht sogar Stolz am Mitgestalten. Sie machen Lust darauf, etwas zu verbessern!

Ein paar Beispiele:
„Ich leite eine Politik-AG, um Schülern beizubringen, ihre Positionen zu hinterfragen und auszudiskutieren.“
„Wir veranstalten in unserer Kommune ein politisches Planspiel für Kinder. Dabei lernen wir Erwachsene sehr viel!“
„Mitmachen statt meckern: Ich engagiere mich jetzt in einer Partei.“
„Gegen die aufgeheizte Stimmung: Ich entferne Aufkleber mit wütenden Parolen im öffentlichen Raum.“
„Ich kommentiere Videos mit Falschinformationen auf Youtube.“

Nicht alle Lösungsvorschläge haben direkt mit der Demokratie zu tun. Aber indirekt. Weil sie die demokratiefeindliche Erzählung widerlegen, dass alles nur schlimmer wird.

Zum Beispiel:
„Ich habe mit meiner Klasse die Schulcharta in Leichte Sprache übertragen.“
„Wir gründen ein inklusives Wohnprojekt.“
„Ich bilde blinde Frauen für die Brustkrebs-Früherkennung aus und vermittle sie an Praxen und Kliniken.“
„Wir haben eine inklusive Sprachlern-App mit Gebärden für Kinder entwickelt.“

Solche Beiträge finde ich genial! Diese konstruktive Denkweise birgt eine ungeheure Kraft. Und sie macht Mut zur Zuversicht. 

Deshalb zum Schluss mein Apell: Glauben wir immer daran, dass wir es morgen besser haben können als heute. So schwierig die Zeiten auch sind. So sehr der Druck auch steigt. So fest wie andere an unserem Zusammenhalt auch rütteln. Glauben wir an das Miteinander. Glauben wir an uns. Und glauben wir an die Demokratie. Denn sie ist das Beste, was wir haben.