25. Februar 2023

Fastenpredigt „Krieg und Frieden“ auf dem Bussen, Biberach

Lieber Pater Alfred,
liebe Gemeinde,
sehr geehrte Damen und Herren,

wenn Sie ein Jahr zurückdenken – als Wladimir Putin das Feuer seines lange geplanten Krieges gegen das ukrainische Volk entfachte – an was erinnern Sie sich? Was waren Ihre Gefühle am Tag des 24. Februar, als die Hoffnung auf Frieden starb? Viele Menschen, mit denen ich damals gesprochen habe, wollten lange die Zeichen des Krieges nicht glauben. 

Krieg, das war eine grausame Erfahrung, die unsere Eltern und Großeltern machen mussten. „Europa“, das erschien uns als Garant, dass nach den bitteren Erfahrungen der Jugoslawienkriege ein Krieg auf unserem Kontinent nicht mehr denkbar war. 
Vermeintlich nicht mehr denkbar war. Auch ich hatte Anfang 2022 sehr auf eine friedliche Lösung in letzter Minute gehofft. Als der Angriff auf die Ukraine begann, war ich entsetzt und innerlich wirklich angefasst.

Vielleicht geht es Ihnen auch so: Der 24. Februar gehört für mich zu den Tagen, von denen ich im Nachhinein genau sagen kann, wo ich war und was ich getan habe. Vergleichbar in jüngerer Geschichte fast nur mit dem 11. September 2001. So tief sitzt das Entsetzen, dass Russland einen Vernichtungskrieg gegen die Ukraine führt. Am Morgen des 24. Februars 2022  klebte ich an meinem Handy: die Nachrichten zur russischen Invasion trafen im Sekundentakt ein. Ständig habe ich auf „Neu laden“ gedrückt. Mit dieser Geschäftigkeit habe ich meine Traurigkeit überdeckt. An dem Tag hatte ich eine Verabredung mit dem Generalmusikdirektor der Stuttgarter Oper, Cornelius Meister. Wir waren beide fassungslos. Aber nicht sprachlos. Wir haben direkt verabredet, sobald wie möglich im Landtag ein Friedenskonzert zu veranstalten – mit ukrainischen und russischen Künstlerinnen und Künstlern. 

Am späten Nachmittag stand ich dann mit sehr vielen Menschen vor dem russischen Konsulat in Stuttgart: Auf einer Demonstration unter dem Motto: „Für Frieden in Europa und Solidarität mit der Ukraine“. Am Abend leuchtete der Landtag in den Nationalfarben der Ukraine. Ins Bett gegangen bin ich dennoch mit einem Gefühl der Hilflosigkeit. Mit dem Gefühl, dass der Einschnitt dieses Tages ein sehr tiefer ist. Mit dem Gefühl, dass die Wunde lange offenbleiben wird.

Liebe Gemeinde, 

wie geht es Ihnen heute? Wie geht es Ihnen nach einem Jahr Krieg in Europa? Wie gehen Sie mit den vielen Unsicherheiten um, die dieser Krieg mit sich bringt? Mich belasten die weltpolitische Lage und ihre globalen wie lokalen Auswirkungen sehr, und ich habe keine einfachen Lösungen – außer der, dass der Aggressor Putin seine Truppen sofort zurückziehen muss. Was mir Mut macht: dass wir als Gesellschaft nicht in Schockstarre gefallen sind: Die Hilfsbereitschaft und Solidarität der Menschen in Deutschland ist hoch – finanziell genauso wie tatkräftig: Türen und Herzen haben sich geöffnet, um mehr als eine Millionen Menschen bei uns aufzunehmen. Und allein bei Caritas International sind bisher Spenden für die Ukraine-Hilfe von über 74 Millionen Euro eingegangen. Diese Solidarität ist groß, obwohl – als Folge des Krieges – die Inflation schmerzhaft hoch ist. 

Trotz aller Probleme: Die wirtschaftlichen Folgen von Putins Krieg haben wir insgesamt besser abfedern können, als viele Expertinnen und Experten zu Anfang erwartet haben. Besser als viele Menschen befürchtet haben. Deutschland unterstützt die Ukraine in ihrem Abwehrkampf gegen die russische Invasion. Zivilgesellschaft und Regierung leisten Hilfe beim Wiederaufbau. Deutschland betreibt engagierte Diplomatie, um den Aggressor Putin zu isolieren und zum Rückzug zu bewegen. Aber auch wenn der erste Schock überwunden ist:  mein Schmerz ist dennoch so stark wie am ersten Tag. Ich will auch gar nicht, dass er vergeht. Ich will mich nicht gewöhnen an entführte Kinder und vergewaltigte Frauen. Ich will mich nicht gewöhnen an Raketen auf Wohn- und Krankenhäuser, an gefolterte Zivilisten, oder an das Verheizen junger Soldatinnen und Soldaten im Artillerie-Feuer. Ich will nicht, dass der Krieg zu etwas Alltäglichem wird, zu einer kaum registrierten Nachricht in der Tagesschau, irgendwo zwischen Verkehrspolitik und DFB-Pokal. Dazu ist die Wunde, die der Krieg schlägt, zu tief. 

Warum das so ist, das hat Papst Franziskus in seiner Botschaft zum diesjährigen Weltfriedenstag klar benannt. Er schreibt, ich zitiere, „Tatsächlich stellt dieser Krieg eine Niederlage für die ganze Menschheit dar und nicht nur für die direkt beteiligten Parteien.“ Auch warnt der Papst davor, sich an den Krieg zu gewöhnen. Seine Friedensbotschaft beginnt mit einem Appell des Apostel Paulus, dass wir auch im Dunkel der Nacht unsere Herzen für die Hoffnung offen zu halten. Ich zitiere: „Darum wollen wir nicht schlafen wie die anderen, sondern wach und nüchtern sein.“ 

Wach und nüchtern zu sein: Damit fordern der Apostel und der Heilige Vater uns auf, nicht zu resignieren, nicht teilnahmslos zu werden. Wachsamkeit brauchen wir aber noch aus einem anderen Grund: um die Gefahr eines Missbrauchs von Religion für Krieg zu erkennen und abzuwehren. Was meine ich damit? Wladimir Putin hat in seiner Rede zur völkerrechtswidrigen Annektierung ukrainischer Gebiete gesagt: „Die Untergrabung des Glaubens und der traditionellen Werte nimmt die Züge einer „umgekehrten Religion“ an, eines regelrechten Satanismus“. Wenig später hat der Sicherheitsrat der Russischen Föderation die – Zitat – „Entsatanisierung“ der Ukraine als ein neues Kriegsziel benannt. Das erbarmungslose Schlachten erscheint so als religiös legitimierter Krieg gegen einen unmoralischen, dekadenten Westen. Patriarch Kyrill, Oberhaupt der russisch-orthodoxen Kirche, bezeichnete den Krieg als einen – Zitat – „metaphysischen Kampf des Guten gegen das Böse“. 

Diese Pervertierung von Glauben, die Instrumentalisierung des Christentums für Nationalismus, Aggression und Verbrechen müssen wir zurückweisen! Wir müssen der Propaganda entgegentreten, die an vermeintliche traditionelle christliche Werte appelliert, um eigentlich Zustimmung für den Kriegstreiber Russland zu erreichen. Um den Glauben gegen diesen Missbrauch zu verteidigen, müssen wir uns aber auch selbst mit dem Glauben beschäftigen.

Das Evangelium lehrt uns: Gott liebt die Menschen bedingungslos. Gott setzt nicht eine Gruppe über andere. Der Glaube ist universal: Er spricht nicht zu und im Namen von Nationen. Der Glaube spricht zu Menschen – egal welcher Herkunft und über alle weltlichen Grenzen hinweg. Diese Haltung findet sich auch in Franziskus Botschaft zum Friedenstag. Er schreibt – Zitat: „Nur gemeinsam, in Geschwisterlichkeit und Solidarität, sind wir in der Lage, Frieden zu schaffen, Gerechtigkeit zu gewährleisten und die schmerzlichsten Ereignisse zu überwinden.“ In der Reaktion auf diesen Angriffskrieg hat Europa, haben wir viel Solidarität gezeigt: 

Wir sind nicht gleichgültig, wir fühlen mit – den Schmerz und das Leid der Angegriffenen. Wir tun unser Möglichstes, um das Leid zu lindern, sei es in Form von Hilfslieferungen, sei es durch die Aufnahme von Menschen, die Schutz vor dem Krieg suchen. Die Rolle Europas als Solidar- und Wertegemeinschaft ist selten so zum Tragen gekommen wie in den vergangenen zwölf Monaten. Wir haben als Gemeinschaft erkannt: Dieser Krieg tobt zwar auf ukrainischem Boden, aber er wird auch gegen uns geführt: gegen unsere gemeinsamen Werte der Demokratie, der Freiheit und der Selbstbestimmung.
 
Diese Werte wiederum haben in einem ansonsten so vielfältigen Europa doch gemeinsame Wurzeln. Zu diesen gehört der Humanismus der Aufklärung genauso wie die Prägung durch die christlichen Prinzipien der Nächstenliebe und der Toleranz. Dieses Fundament unseres gemeinsamen Hauses Europa müssen wir pflegen. Und ich hoffe, dass wir den Geist der Solidarität und Hilfe auch auf Menschen anwenden, die von außerhalb Europas vor Krieg fliehen – und dabei allzu oft ihr Leben im Mittelmeer verlieren. Papst Franziskus schreibt in seiner Friedensbotschaft dazu – Zitat: „Wir können nicht mehr nur daran denken, den Bereich unserer persönlichen oder nationalen Interessen zu schützen, sondern wir müssen uns im Lichte des Gemeinwohls begreifen, mit einem Gemeinschaftssinn, das heißt als ein ,Wir‘, das offen ist für eine allumfassende Geschwisterlichkeit.“

Die Frage, ob im Falle der Ukraine zur Geschwisterlichkeit auch die Lieferung von Waffen gehören sollte, ist damit jedoch noch nicht beantwortet. Diese Frage zu beantworten ist ethisch enorm schwierig. Der Magdeburger Bischof Gerhard Feige hat es in einem Neujahrsgespräch zum Thema Krieg und Frieden auf den Punkt gebracht, Zitat: „Es gibt keine Lösung, bei der man nicht schuldig wird.“ Und weiter sagt er: Ob man strikt pazifistisch oder nüchtern-pragmatisch plädiere, jede Seite könne sich dabei auf das Evangelium beziehen.

Liebe Gemeinde, 

das Gebot der Nächstenliebe ruft uns dazu auf, auch den Feind zu lieben. Aber genauso ruft es uns auf, die Schwachen zu schützen: Wir leben in dem Dilemma, dass wir fehlen, wenn wir nicht helfen, wenn wir die Opfer nicht unterstützen. Umgekehrt ist Hilfe mit der Lieferung von Gütern verbunden, die zum Töten verwendet werden. Und jeder gewaltsame Tod – egal auf welcher Seite der Mensch steht – ist eine menschliche Niederlage. 
 
Das ist für mich eine wesentliche Ursache des Schmerzes über diesen Krieg. Es ist der Grund, warum der Schmerz nicht vergeht – und nicht vergehen sollte. Meine Damen und Herren, Russland, der Aggressor, hat seine ursprünglichen Kriegsziele nicht erreicht:
Was der Kreml als „dekadent und schwach“ bezeichnet hat, hat sich als stark und mutig erwiesen. Das ist für uns alle ermutigend. Aber wir sollten uns dennoch hüten, uns in eine Spirale militärischer Rhetorik zu begeben: Denn jeder Krieg ist eine Niederlage für die Menschheit. 

Anlässlich des Jahrestages des Angriffs hat das katholische Friedenswerk Pax Christi 
die internationale Gemeinschaft aufgerufen, sich für diplomatische Initiativen, einen Waffenstillstand und Verhandlungen einzusetzen. Das sind Forderungen, von denen wir alle uns wünschen, dass ihre Umsetzung greifbar nahe wäre. Und greifbar wird Frieden in Zukunft auch nur dann, wenn man diese Forderungen immer wieder erhebt. Der christliche Pazifismus leistet mit seinen Forderungen nach Waffenstillstand und Verhandlungen einen wichtigen Beitrag, dass wir als Gesellschaft das Ziel des Friedens nicht aus den Augen verlieren. Und zwar auch dann nicht, wenn diese Forderungen angesichts der ungebremsten russischen Aggression unrealistisch, manchen vielleicht sogar als naiv, erscheinen mögen.

Die schmerzhafte Kehrseite hat der Bischof von Speyer, Karl-Heinz Wiesemann, in seiner Weihnachtspredigt klar benannt – Zitat: „Der Einsatz von Macht und Gewalt, gegebenenfalls auch von Waffen ist nötig, um unschuldiges Leben, Menschen- und Völkerrecht, Würde und Freiheit zu verteidigen.“ Und weiter sagt er: „Die Wahrheit von der gewaltbereiten Verteidigungsnotwendigkeit des sonst Schutzlosen – sie trifft das Drama des Menschen in dieser Welt.“ 

Diese Wahrheit trifft uns mit aller Härte, wenn wir die Sprache des Hasses in der offiziellen russischen Propaganda hören. Diese Propaganda fordert wörtlich, dass man alle gegnerischen Ukrainerinnen und Ukrainer töten und ihre Kinder außerhalb der Ukraine in russischem Sinne umerziehen müsse. In den nüchternen und ernüchterten Sätzen von Bischof Wiedemann steckt ein weiterer wichtiger Hinweis: Vorrangiges Ziel des Pazifismus – nach den Schrecken der Weltkriege – war die Etablierung eines Völkerrechts. Pazifismus heißt ja nicht nur, „Krieg abzulehnen“: Pazifismus strebt nach friedlichen Verfahren und allgemeingültigen Regeln, um Konflikte gewaltfrei zu lösen. Pazifismus strebt nach einem Weltethos, der Krieg ablehnt aus Gründen der Menschlichkeit – und der Vernunft. 

Der Einsatz für die Prinzipien des Völkerrechts ist elementar, um Frieden in der Zukunft zu sichern. Russland hat mit seinem Angriffskrieg Völkerrecht mit den Füßen getreten. Würde dieser Bruch des Völkerrechts durch die Bedingungen eines Waffenstillstands faktisch anerkannt, würden neue Kriege, neues Leid wahrscheinlicher. Ein solcher „Friede“ wäre Wurzel für mehr Gewalt in der Zukunft. Um nah bei den Worten von Bischof Wiesemann zu bleiben: Dieses Dilemma trifft das Drama des Pazifismus in dieser Welt. Was also bleibt uns? 

Ich erinnere an den eingangs zitierten Paulus-Brief aus der Friedensbotschaft des Papstes – Zitat: „Darum wollen wir nicht schlafen wie die anderen, sondern wach und nüchtern sein.“ Das ist ein Appell, nicht in Angst, Depression und Pessimismus zu versinken. Der Apostel ruft uns auf, es den Wächtern der Nacht gleichzutun, die fähig sind, das erste Licht der Morgendämmerung auch in den dunkelsten Stunden kommen zu sehen. Der Friede mag fern sein. Aber wir sind jetzt aufgerufen, uns den Frieden auszumalen, das Licht zu erahnen. Dazu müssen wir uns vor Augen führen, dass Friede nicht ist, wenn die Waffen schweigen: Auf dem Weg zu einem Friedensvertrag wird der Krieg weitergefochten. Dieser Weg ist verbunden mit den Fragen, wie die Gegner überhaupt miteinander umgehen können, wie sie über Opfer, Schuld und Schulden, Auflagen, Kosten und Garantien streiten. Und schließlich geht ein Krieg auch nach dem formalen Frieden weiter: wenn die Soldaten heimkehren, wenn Gesellschaften beginnen, die Opfer zu betrauern, wenn Menschen beginnen, die Ergebnisse des Friedens in Beziehung zu setzen zu den Opfern während des Krieges.

Wenn wir uns dasbewusstmachen, dann wird uns unsere Aufgabe auf diesem Weg sehr klar. Wenn wir nicht wollen, dass der Krieg in den Menschen weiter wütet, dass er den Hass immer wieder neu befeuert, dann müssen wir uns an das Evangelium halten: „Dauerhafter Friede ist auch vom Evangelium her immer eine Folge von Gerechtigkeit“. Diesen Satz predigte der Wormser Bischof Peter Kohlgraf zum Jahreswechsel. Und weiter sagte er: „Es entspricht dem Evangelium, wenn Kriegsverbrecher Verantwortung übernehmen müssen für ihre Taten, wenn den Opfern größtmögliche Gerechtigkeit widerfährt, wenn eine internationale Gemeinschaft um die Einhaltung internationalen Rechts bemüht ist.“ Das ist ein wesentlicher Punkt, der bei dem Ruf nach sofortigen Frieden leider allzu schnell übersehen wird. 

Versetzen wir uns in die Lage von Menschen, deren Angehörige zerfetzt oder unter Trümmern begraben wurden, weil Russland gezielt Raketen auf Wohn- und Krankenhäuser, auf Schulen und Kindergärten feuert. Könnten wir, die wir uns heute hier versammelt haben, unseren Frieden damit machen, wenn die Verantwortlichen für diese Verbrechen sich nicht verantworten müssten? Versetzen wir uns in die Lage von Eltern, deren Kinder aus besetzten Gebieten entführt wurden, um sie in Russland zur Adoption frei zu geben. Könnten wir – könnten Sie, liebe Gemeinde – Frieden machen, ohne die Kinder zurückzubekommen?

Mit diesen Fragen sind aktuell Millionen Menschen in der Ukraine konfrontiert. Solange diesen Menschen keine Gerechtigkeit wiederfährt, solange sie keinen inneren Frieden finden, so lange lässt sich am Verhandlungstisch kaum ein stabiler Frieden schaffen. Bischof Kohlgraf geht in seiner Predigt aber noch weiter: Er spricht darüber, was der momentan noch fernen Gerechtigkeit idealerweise folgt: Vergebung. Vergebung ist ohne Gerechtigkeit nahezu unmöglich – und für viele Menschen auch dann sehr schwer. Verlangen können wir Gerechtigkeit nicht. Und auch auf sie zu hoffen, erscheint uns heute – im Februar 2023 – wie eine Utopie.

Liebe Gemeinde, 

lassen Sie uns dennoch jetzt schon über die Friedenskraft von Gerechtigkeit und Vergebung sprechen. Denken wir heute, im Jahr 2023, an die Gründung der deutschen Sektion von Pax Christi vor 75 Jahren: Als gesamteuropäische Bewegung hat das katholische Friedenswerk großen Anteil, ehemalige Erbfeinde zusammenzubringen. Die Kirchen und ihre Institutionen haben das Streben nach Versöhnung in Politik und Gesellschaft sehr befördert. Frankreich und Deutschland sind Partner geworden: Vor 60 Jahren wurde der Élysée-Vertrag unterzeichnet: Ehemalige Erbfeinde setzen ein Zeichen und vereinbarten, in Außen-, Sicherheits-, Jugend- und Kulturpolitik eng zusammenzuarbeiten.

Wir denken auch in Dankbarkeit an die Schritte, die Polen und Deutschland aufeinander zu gingen:  Daran waren die polnischen Bischöfe wesentlich beteiligt. Diese Vergebung legte das Fundament für das gemeinsame Haus Europa, das wir heute bewohnen. Allerdings erfolgte sie auch gegenüber einem Deutschland, das eine Demokratie geworden war. Einem Deutschland, das die Schuld des so genannten dritten Reiches und seiner Verbrechen anerkannt hat. Von all dem ist Russland leider weit entfernt.

Liebe Gemeinde, 

die Hände sind uns trotzdem nicht gebunden, wenn wir heute tun, was der Apostel Paulus uns rät: Dass wir sein sollen, wie die Wächter der Nacht, die im Dunkeln schon das Licht erahnen – dann sind wir nicht hilflos. Dann sehen wir, was jetzt zu tun ist: den angegriffenen Ukrainerinnen und Ukrainern zu helfen, die Opfer zu schützen vor der Aggression Putins, das Völkerrecht bewahren vor einer Aushöhlung, die neue Kriege wahrscheinlicher macht. Dann sehen wir auch, wie wir den Frieden vorbereiten können, der jetzt noch im Dunkeln liegt: Öffnen wir das Haus Europas für die Ukraine. Knüpfen wir Beziehungen für Wiederaufbau und kulturellen Austausch. Stärken wir damit die eigenständige Identität der Ukraine, die Putin mit seinem Terror vernichten will.

Schlagen wir auch die Tür zur russischen Zivilgesellschaft nicht zu: Wo Gespräche möglich sind – sei es im Rahmen von Städtepartnerschaften oder auf anderen zivilgesellschaftlichen Kanälen – sprechen wir die Einladung dazu aus. Millionen Menschen, die als Spätaussiedler und so genannte „Russlanddeutsche“ persönliche und emotionale Bindungen in die ehemalige Sowjetunion haben, sind heute deutsche Staatsbürgerinnen und Staatsbürger: Sie sind fester Bestandteil unserer Gesellschaft. Aktuell hat diese Gesellschaft, hat Deutschland,  rund eine Million Ukrainerinnen und Ukrainer aufgenommen. Die deutsche Gesellschaft kann somit ein Startpunkt sein für Austausch und Gespräche. Unterstützen und fördern wir hier bei uns den Dialog! Erahnen wir also das Licht. Hoffen und tun wir etwas dafür, dass Gespräche hier Schritte sein können hin zu Gerechtigkeit und Aussöhnung. Das kann unser Beitrag zu Frieden sein – im universalen Geist christlicher Werte.

Die Friedensbotschaft von Papst Franziskus endet mit dem Appell: „Nur wenn wir uns in dieser Situation mit einem altruistischen Verlangen, das von Gottes unendlicher und barmherziger Liebe inspiriert ist, hineingeben, werden wir eine neue Welt aufbauen und dazu beitragen können, das Reich Gottes zu errichten, das ein Reich der Liebe, der Gerechtigkeit und des Friedens ist.“ 

Dem habe ich nichts mehr hinzuzufügen. Außer: Vielen Dank für Ihr Kommen! Möge Gott sie beschützen!