25. November 2024

Festakt 175 Jahre Schwäbischer Chorverband

Landtagspräsidentin Muhterem Aras am Rednerpult

Meine Damen und Herren,

wenn glockenklare und trainierte Stimmen erklingen, wenn sie verschmelzen, dann berührt das die Herzen unmittelbar. Man kann sich dem eigentlich gar nicht entziehen; selbst wenn man wollte. Man kann unreligiös sein und dennoch beim Lauschen eines Kirchenchors Gänsehaut bekommen. Man kann ahnungslos von Klassik sein, und doch schießen einem bei so manchem Werk die Tränen in die Augen. Man kann den Liedtext nicht verstehen, und doch möchte man mit einem Pop- oder Soul-Chor mitwippen. Weil Musik verbindet. Und ganz besonders unser ureigenes Instrument, die Stimme, hat beinahe etwas Magisches. 

Aber auch wenn man nicht an Magie glaubt: Der nüchterne, rein wissenschaftliche Blick auf Gesang beeindruckt nicht weniger. So ist nachgewiesen, dass das Singen die Muskeln entspannt, den Blutdruck senkt und Stresshormone reduziert. Singen stärkt gewissermaßen die Nerven. Und starke Nerven können wir wahrlich gut gebrauchen in diesen Tagen. 

Die schönste Erkenntnis der Gesangsforschung aber lautet: Gemeinsames Singen tut besonders gut! Es macht glücklich. Es stärkt das Zusammengehörigkeitsgefühl. Und sogar die Herzfrequenzen der Singenden gleichen sich an. 

Chormusik ist gewissermaßen gesungener Zusammenhalt. 

Und: Chormusik ist Vielfalt. Ob Kinder aus diversen Klassen, Studierende aus diversen Fächern, Jugendliche gemeinsam mit Senioren, Männer und Frauen aus diversen Berufen: Im Chor kommen unterschiedlichste Menschen zusammen. Es gibt übrigens sogar einen Landtagschor, in dem fraktionsübergreifend Abgeordnete gemeinsam mit Mitarbeitenden aus der Verwaltung singen.

Das ist das Großartige: Chöre verbinden. Sie stiften Gemeinschaft und trotzen der Vereinzelung. Auch in dieser Hinsicht stärken sie den Zusammenhalt in unserer Gesellschaft. Sie verkörpern – buchstäblich – ein harmonisches Miteinander, unabhängig von Abstammung oder Glauben, Heimat oder Hautfarbe. Sie haben integrative und inklusive Kraft. Auch die Geschlechter ergänzen einander, von den höchsten Höhen im Sopran bis zu den tiefsten Tiefen im Bass. Und nicht nur singt man miteinander, sondern man macht sich vorm Auftritt auch einander Mut, tritt miteinander in der Öffentlichkeit auf. 

Das alles, meine Damen und Herren, klingt für mich nach Demokratie. 

Tatsächlich hat Chorgesang viel mit Demokratie gemeinsam: Es funktioniert nur als Gemeinschaft, jede Stimme zählt, und man braucht öfter mal einen ziemlich langen Atem... Zugegeben: In der Politik, wie auch in der Gesellschaft insgesamt, geht es oft dissonanter zu als im Chor. Aber zivilisierter Streit gehört dazu. So lassen sich die besten Antworten auf politische Fragen ausloten und ein breites Meinungsspektrum auffächern. Oder anders gesagt: Wie ein Chor entfaltet auch die Demokratie ihren Zauber erst durch Vielstimmigkeit. Und durch verantwortungsvolle Leitung, die diese Vielstimmigkeit ordnet und jede Gruppe zum Klingen bringt, die leisen wie lauten Stimmen.(externer Link)

Bei aller Vielfalt und Verschiedenheit der Stimmen braucht es allerdings in beiden Bereichen Koordination und Kooperation: Ein Miteinander funktioniert nur, wenn alle auf ihre Nebenperson achten und sie nicht übertönen. Dieses Zusammenspiel ermöglicht im Chor die Partitur, in unserer Gesellschaft das Grundgesetz. 

Unser Grundgesetz – mit 75 Jahren ebenfalls ein Jubilar in diesem Jahr – betrifft auch ganz unmittelbar das Singen im Chorverein. Was können wir zum Beispiel dankbar sein für die Kunstfreiheit nach Artikel 5: dass die Kunst frei ist in diesem Land, und dass kein Despot darüber herrscht, was an einem Ort der Kunst aufgeführt wird und was nicht. Ich sage: Was für ein Geschenk!

Und nicht zuletzt schützt das Grundgesetz mit Artikel 9 die Vereine: Räume der Begegnung, des Teamworks und des Mitwirkens. Wie das gemeinsame Singen ist auch das Engagement im Chorverein selbst ein Musterbeispiel für Gemeinschaft. Ob es die Chorleitung ist, das Kleben der Plakate vor den Auftritten, die Öffentlichkeitsarbeit: Da fließt enorm viel Zeit, Energie und Herzblut in ein gemeinsames Projekt, das nicht nur die Sängerinnen und Sänger glücklich macht, sondern auch ihre Zuhörerschaft. 

Ihre Vereine bereichern die Kulturlandschaft des Landes. Sie fördern den gesellschaftlichen Zusammenhalt. Sie verbreiten Hörgenuss. Und all das tun Sie größtenteils ehrenamtlich: Dafür verdienen Sie alle große Anerkennung und großen Respekt! 

Und auch dem Schwäbischen Chorverband gebühren Anerkennung, Respekt und großer Dank: dafür, dass er so viele Mitglieder über einen so langen Zeitraum stärkt und unterstützt – durch schwere Krisen wie zuletzt die Corona-Jahre hindurch –, dass er das Engagement für die Kultur und für den Zusammenhalt katalysiert, und dass er all den schönen Stimmen seiner Mitglieder auch nach außen eine Stimme gibt. Sie bereichern damit wirklich ganz Baden-Württemberg! 

Allen Mitgliedern des Schwäbischen Chorverbands gratuliere ich herzlich zum 175. Jubiläum. Ich wünsche Ihnen guten Zulauf, volle Säle, begeisterte Zuhörerinnen und Zuhörer, und vor allem: riesige Freude bei den kommenden Konzerten!

Meine Damen und Herren,

eines ist mir aber noch wichtig: Die Adventszeit steht vor der Tür, eine Zeit, in der die Chormusik besonders viel Anklang findet. Viele von Ihnen werden Konzerte geben – in Kirchen, Schulen, Altersheimen. Sie werden auch dadurch zum Zusammenhalt beitragen, dass Sie mit Ihrer Musik in der kalten Jahreszeit Wärme spenden und womöglich Trost. Es ist eigentlich genau die Zeit des Zusammenhalts und der Besinnlichkeit. 

Wir wissen aber auch: Der gesellschaftliche Zusammenhalt bröckelt in den letzten Jahren, wegen vieler Krisen und Umbrüche. Und der Bundestagswahlkampf könnte nun dafür sorgen, dass der Advent nicht ganz so besinnlich wird. Hinzu kommen politische Kräfte, die ganz gezielt am Zusammenhalt rütteln; die nach unten treten; die besonders die Schwächsten gegeneinander ausspielen. 

Das gilt nicht nur für Demokratiefeinde, sondern auch für manche Beiträge aus der Mitte der Parteienlandschaft. Wie im Chor gilt aber auch im politischen Miteinander: Der Ton macht die Musik! Und das derzeitige Ausmaß an Dissonanz ist unserer Demokratie nicht würdig! Ich finde, die Politik sollte sich deshalb ein Beispiel nehmen an den Chören im Land. Gerade in Krisenzeiten ist es an uns allen, uns nicht gegeneinander aufwiegeln zu lassen, sondern zusammenzustehen und ein Zeichen zu setzen gegen die, die spalten wollen. 

Es gilt, im Verein wie außerhalb: Unser aller Chor, der Chor unserer demokratischen Gesellschaft, muss lauter sein als das Gebrüll der Spalter, muss stärker sein als die Pauken der Populisten – schöner klingt er allemal! 

Sie als Chorvereine sind dabei große Vorbilder: 

Weil Sie uns vor Augen und Ohren führen, wie Zusammenhalt aussieht und klingt. 

Weil Sie mit viel Engagement zu dem riesigen Gemeinschaftswerk namens Demokratie beitragen, auf das wir alle so stolz sein können. 

Und weil Sie auf magische Weise die Herzen berühren. Vielen Dank dafür.