19. November 2024

Festakt 50 Jahre Katholisches Büro Stuttgart

Landtagspräsidentin Muhterem Aras am Rednerpult

Meine Damen und Herren,

 

„im Bewußtsein seiner Verantwortung vor Gott und den Menschen“ hat sich das Deutsche Volk seine Verfassung gegeben: ein Geschenk an uns selbst namens Grundgesetz. Es bereichert unsere Gesellschaft nun seit 75 Jahren.

Verantwortung vor Gott und den Menschen – so heißt es in der Verfassungspräambel. Die Formulierung war umstritten im Parlamentarischen Rat, gab es doch weder in der Paulskirchenverfassung noch in der Weimarer Verfassung einen Gottesbezug. Aber letztlich entschieden sich die Mütter und Väter des Grundgesetzes dafür. Auch, um bereits mit den ersten Worten eine Abkehr vom NS-Staat zu kennzeichnen. Eine Abkehr vom menschenverachtenden Größenwahn hin zur Demut vor einer höheren Macht. Eine Abkehr von staatlicher Willkür hin zur Universalität der Menschenrechte. Eine Abkehr von mörderischer Ideologie hin zu einer Politik, die auf sittlich-ethischen Werten gründet; Werte, auf die auch das Christentum gründet. 

„Vor Gott sind alle Menschen gleich und mit Würde versehen“, heißt es im Buch Genesis. „Die Würde des Menschen ist unantastbar“; „Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich“, heißt es im Grundgesetz. Das Gebot „Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst“ hallt wider in unseren Gleichheitsrechten. Und das Motiv der Barmherzigkeit durchströmt das Sozialstaatsprinzip. 

Aber: In Zeiten wie diesen stehen diese Werte auf dem Prüfstand.

Die Klimakatastrophe, der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine, die weltweite Wirtschaftslage, der Rückgang der liberalen Demokratie: Das sind nur einige Krisen, die unsere Welt erschüttern. Und die Wahl von Donald Trump hat diese Krisen befeuert.

Bei vielen Menschen – nicht nur in den USA – hat das dortige Wahlergebnis geradezu Weltschmerz ausgelöst. Manche sind vom Glauben abgefallen: vom Glauben an das Gute und an die Menschen; vom Glauben, dass Nächstenliebe stärker ist als Fremdenhass, dass sich Rechtschaffenheit und Sittlichkeit durchsetzen, dass Wahrhaftigkeit schwerer wiegt als die Lüge. Solche Überzeugungen stehen nun für viele in Frage.

Nach dem Wahlsieg proklamierte Donald Trump, Gott habe sein Leben verschont, damit er die USA retten könne. Ausgerechnet ein Donald Trump, dem nichts heilig ist bis auf den Dollar, den schnöden Mammon, beruft sich auf Gott. 

Aber um die Scheinheiligkeit der Rechtsextremen zu sehen, müssen wir nicht bis in die USA blicken. Als Björn Höcke wegen SA-Parolen vor Gericht stand, verglich er sich allen Ernstes mit Jesus Christus, den man nach einem Schauprozess kreuzigte. Das wäre fast zum Lachen, wäre es nicht so perfide und anmaßend. Es gibt Mitglieder der AfD, die auch Mitglieder einer Kirche sind. Manche Unterstützer der AfD gründen ihren Zuspruch angeblich sogar auf ihren Glauben. Und das möchte die AfD auch für sich nutzen – obwohl sich die Kirchen, voran die katholischen Bischöfe, sehr klar gegen die menschenverachtende Politik der AfD bekannt haben und glasklar gesagt: „Die AfD ist für Christen nicht wählbar, völkischer Nationalismus mit dem christlichen Gottes- und Menschenbild nicht vereinbar.“ Und für diese klare Haltung bin ich enorm dankbar! 

Der religionspolitische Sprecher der AfD-Fraktion in Sachsen-Anhalt – auch stellvertretender Landesvorsitzender der Partei – behauptete, in der Wut der Kirchen zeige sich die „Wut des Widersachers“; die AfD vertrete „als einzige Partei noch christliche Werte“, sei sogar „christlicher als die Kirchen selbst“. 

Ich finde: Scheinheiliger geht es nicht. Diese Scheinheiligkeit gilt es zu entlarven, so, wie es alle Lügen der Demokratiefeinde zu entlarven gilt: ihre Erzählungen vom Unheil wie auch ihre leeren Heilsversprechen. 

Ich bin überzeugt: Während die Funktionäre in böser Absicht handeln; handeln viele Unterstützer in ‚gutem Glauben‘; oder zumindest aus einer nachvollziehbaren Angst heraus: der Angst vor dem Umbruch, vor dem Fremden, oder auch aus Frust. Ich kann diese Angst, diesen Frust verstehen. Auch, wenn ich nicht die gleichen Schlüsse ziehe, und auch, wenn das eine Unterstützung von Demokratiefeinden nicht rechtfertigt. Aber zumindest liegt hier ein Ansatzpunkt zur Verständigung. Eine Brücke zurück auf das demokratische Festland. Und ganz besonders die Kirchen können hier womöglich noch einige Herzen erreichen und sagen: Fürchtet euch nicht.

Die Aufgabe sowohl der Politik als auch der Kirche ist es, das Vertrauen in unsere Werte wiederherzustellen. Was auch bedeutet: 

  • das Vertrauen in uns als Gesellschaft wiederherzustellen, dass wir die Krisen gemeinsam lösen können; 

  • das Vertrauen der Menschen untereinander; 

  • und nicht zuletzt das Vertrauen in Politik und Kirche selbst. Also in genau die Organisationen, die Orientierung bieten, Halt geben und Zuversicht schaffen müssen in unsteten Zeiten.

Dass das Vertrauen in diese Organisationen, untereinander sowie in unsere Grundwerte parallel beschädigt ist, das ist ja kein Zufall, sondern eher ein Teufelskreis.

Der gesellschaftliche Zusammenhalt bröckelt, und das Misstrauen wächst. Das zeichnet eine Studie der Bertelsmann Stiftung seit Jahren nach. 

Ebenso bedrohlich ist die neueste Autoritarismus-Studie, die die Universität Leipzig vergangene Woche vorgelegt hat: 

  • Rund ein Zehntel der Befragten stimmt der Aussage zu, dass Jüdinnen und Juden hierzulande zu viel Einfluss hätten. 

  • Ein Drittel der Befragten meint, die Bundesrepublik sei durch Ausländer in einem gefährlichen Maß überfremdet; und: Ausländer kämen nur hierher, um den Sozialstaat auszunutzen. 

  • Gut 40 Prozent stimmen mindestens in Teilen zu, dass Deutschland eine einzige starke Partei brauche, die „die Volksgemeinschaft verkörpert“. 

  • Und nur 46 Prozent – 30 in den neuen Bundesländern, 46 Prozent bundesweit – sind zufrieden damit, wie die Demokratie in Deutschland funktioniert. Weniger als die Hälfte, meine Damen und Herren!

 

Und was wahrscheinlich mit zu diesen verheerenden Zahlen beiträgt, ist auch der Auftritt so mancher Demokraten, und die Art, wie wir Debatten führen. Einige Debattenbeiträge in letzter Zeit, auch aus der Mitte der Parteienlandschaft, sind unseres Rechts- und Sozialstaates schlichtweg nicht würdig! Wer Migrantinnen und Migranten einseitig als Gefahr darstellt, Arbeitslose einseitig als Leistungsverweigerer und nur Millionäre als die eigentlichen Leistungsträger, wer Bedürftige geringschätzt, wer als erstes bei den Ärmsten sparen will, wer Teile der Gesellschaft gegeneinander aufwiegelt, der hat entweder nicht verstanden, was auf dem Spiel steht, oder der arbeitet daran, dass wir alle dieses Spiel verlieren! Wer so handelt, kommt seiner Verantwortung vor Gott und den Menschen nicht nach.

Damit wir unsere Werte wahren, müssen sowohl Politik als auch Kirche immer wieder Haltung zeigen. Gerade in Zeiten der Zwietracht, gerade in Zeiten des Zorns müssen wir beharren auf ein humanistisches Menschenbild. Wenn so viele politische Debatten christliche Tugenden wie Nächstenliebe und Barmherzigkeit vermissen lassen, kann die Kirche an diese Tugenden appellieren. Besonders, da sich auch Demagogen auf das Christentum beziehen und sich den Glauben ihrer Anhänger zu eigen machen.

 

Meine Damen und Herren,

gerade wenn Politik und Kirchen die Herausforderungen, die Verantwortung, und vor allem die Werte teilen, ist es wichtig, miteinander im Austausch zu sein. Diesen Austausch verwirklichen das Katholische – und das Evangelische - Büro in Stuttgart nun seit einem halben Jahrhundert.  Das feiern wir heute, und dafür möchte ich heute die Glückwünsche des Landtags überbringen.

Der Soziologe Hartmut Rosa sagt, Demokratie brauche Religion; nicht zuletzt, weil Religion das „hörende Herz“ trainiere, dass es für ein gutes Miteinander braucht. Dieses hörende Herz bieten Sie, lieber Herr Dr. Neudecker, und natürlich auch Sie, liebe Frau Engelmann, nicht zuletzt dem Landtag an. Ihre Beratung und Vermittlung ist im Parlament fraktionsübergreifend geschätzt. 

Ihre Arbeit, für Ihre Kirchen und die Menschen, die sich in und um den politischen Raum bewegen, ist einmalig in Deutschland; die Büros sind eine einmalige Einrichtung in deutschen Parlamenten, und sie haben sich über die letzten Jahrzehnte bewährt.

Sie hören zu und sie geben Rat, wenn Sie darum gebeten werden; Sie sehen den Menschen hinter ‚dem Politiker‘, und schätzen den gemeinsamen Austausch sehr, wie ich aus Gesprächen mit Ihnen weiß. 

Die Seelsorge für Abgeordnete und Verwaltung ist in diesen Tagen ungemein wertvoll. Denn die Verantwortung, durch die Krisen unserer Zeit zu navigieren, wiegt mitunter schwer. Man ringt ja im Parlament nicht nur miteinander um die beste Lösung, sondern vielleicht auch mit sich selbst. Und der Ton der Verrohung, der aufflammende Hass trifft ja täglich auch Menschen in der Politik. In dieser düsteren Lage ist Ihre Seelsorge ein Lichtblick – so, wie die Landtagsandachten für viele ein Ruhepol sind, inmitten des Sturms; eine Möglichkeit, sich wieder einzunorden, wenn alles kopfzustehen scheint.

Deshalb: alles Gute für Ihre weitere Arbeit.

Und ein riesiges Dankeschön für Ihr hörendes Herz.