09. Juli 2025

Fritz Bauer – Kämpfer für Gerechtigkeit

Landtagspräsidentin Muhterem Aras am Redepult

Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Gäste,

das war Fritz Bauer 1967. Vor über einem halben Jahrhundert. Vor einer gefühlten Ewigkeit. Doch seine Aussagen: Zeitlos wahr, empathisch und geprägt von einem Weltbild, das den Menschen und seine Würde in den Mittelpunkt stellt.

Über 20 Jahre früher, heute vor 80 Jahren, endete der Zweite Weltkrieg. Und mit ihm wurden die Strukturen des Nationalsozialismus zum Einsturz gebracht. Aus den Trümmern der staatlichen und gesellschaftlichen Institutionen entstand nun die Chance, etwas Neues zu errichten. Dass sich hierbei viele Ideen der Humanität, der Freiheit und der Demokratie durchsetzten, von denen wir heute profitieren, das verdanken wir Menschen, die sich unermüdlich für diese Grundlagen des Zusammenlebens einsetzten. Menschen wie Fritz Bauer!

Daher widmen wir dem Juristen, dem Humanisten, dem wunderbaren Menschen, dem Kämpfer für Gerechtigkeit, den heutigen Abend. Herzlich willkommen in der Herzkammer der Demokratie, herzlich willkommen im Landtag von Baden-Württemberg.

Für den Landtag begrüße ich Herrn parlamentarischen Geschäftsführer Lede Abal (GRÜNE), Herrn stellvertretenden Fraktionsvorsitzenden Weinmann (FDP/DVP), Frau Abgeordnete Hartmann-Müller (CDU) sowie Frau Abgeordnete Steinhülb-Joos (SPD).

Ich freue mich, dass zahlreiche Vertreter aus der Justiz unter uns sind. Stellvertretend begrüße ich: Herrn Dr. O’Sullivan, Vizepräsident des Verfassungsgerichtshofs Baden-Württemberg, Herrn Dr. Singer, Präsident des Oberlandesgerichts Stuttgart, sowie Herrn Rumler, Präsident des Landgerichts Stuttgart. Für den Deutschen Richterbund Baden-Württemberg begrüße ich den Vorsitzenden, Herrn Brilla. Schön, dass Sie alle heute Abend hier sind. Und ein großes Dankeschön Ihnen allen – stellvertretend für die vielen Beteiligten bei Gericht – für Ihre wertvolle Arbeit: Die auslegenden, abwägenden und urteilenden Gerichte stellen sicher, dass wir weiter in einem der friedlichsten, freiheitlichsten und demokratischsten Ländern der Erde leben können.

Ebenfalls sehr herzlich begrüße ich Herrn Will, Leiter der Zentralen Stelle zur Aufklärung nationalsozialistischer Verbrechen in Ludwigsburg. Eine Behörde, in die schon Fritz Bauer großes Vertrauen hatte. Sie ist bis heute ein unschätzbares Dokumentations-, Forschungs- und Informationszentrum für die Verfolgung der NS-Verbrechen. Vielen Dank auch Ihnen!

Zudem begrüße ich für den Vorstand der Israelitischen Religionsgemeinschaft Württemberg, ihre Sprecherin, Frau Professorin Traub.

Ganz besonders freue ich mich, dass Ihr heute da seid, liebe Schülerinnen und Schüler! Da wird der Landtag noch lebhafter als sonst, wenn ihn mehr als 100 junge Menschen aus acht verschiedenen Schulen besuchen. Für Fritz Bauer war die junge Generation immer wichtig: Er nahm sie ernst, hörte zu, erklärte. Das ist nur eine Ansicht von vielen, die ich mit ihm teile. Und auch deshalb gehört dieser Abend Euch. Stellt Fragen, lasst euch inspirieren, er hat uns viel zu erzählen. 

Wir haben fantastische Menschen auf dem Podium, mit denen wir gemeinsam in die Gedankenwelt dieses großartigen Menschen eintauchen können. Allen voran freue ich mich sehr auf den Impuls und die Expertise von Herrn Dr. Steinke: Lieber Herr Dr. Steinke, Sie haben mit Ihrer Fritz-Bauer-Biografie vielen Menschen einen leichten und zugleich spannenden Zugang ermöglicht zum Leben von Fritz Bauer und der Zeit, in der er wirkte. Sie beschäftigen sich aber nicht nur mit Vergangenem, sondern haben in den letzten Jahren das Meinungsspektrum mit wertvollen Analysen in der Süddeutschen Zeitung bereichert. Als Mitherausgeber des Reports „Recht gegen Rechts“ schauen Sie regelmäßig auf die Entwicklungen rund um die Justiz und rechtsextremistische Tendenzen: Wie greifen Rechtsextreme den Rechtsstaat an? Wie versuchen sie ihn zu delegitimieren? Werden die vielfältigen Instrumente der wehrhaften Demokratie tatsächlich auch genutzt? Sie sind damit eine der wichtigsten Stimmen in Deutschland, die unser Bewusstsein stärken für die große Bedeutung unseres demokratischen Rechtsstaates. Ich freue mich sehr, dass Sie heute da sind.

Auch für die Vermittlung von Wissen an ein junges Publikum haben wir heute zwei weitere Expertinnen auf der Bühne: Liebe Frau Schöler, Sie sind Historikerin und Journalistin: Mit diesem Hintergrund machen Sie komplexe politisch-historische Vorgänge greifbar und verständlich. Sei es in Buchform, dem linearen Fernsehen oder in den Sozialen Medien: Ihre Begeisterung für die vergessene Geschichte kommt an.

Liebe Frau Kessler, Sie waren Schülerin am Eberhard-Ludwig-Gymnasium in Stuttgart, derselben Schule, an der auch Fritz Bauer sein Abitur machte. Zusammen mit anderen, die teilweise auch hier im Publikum sind, haben Sie sich intensiv mit Fritz Bauer und seiner heutigen Bedeutung auseinandergesetzt. Auf die daraus entstandenen Initiativen gehen unter anderem die Stele am Ort des ehemaligen Geburtshauses Fritz Bauers und die Ausstellung im Stuttgarter Stadtmuseum in diesem Frühjahr zurück. Sie sind auch nach Ihrer Schulzeit weiter als Fritz-Bauer-Botschafterin aktiv und berichten heute darüber.

Geschichte lebendig werden zu lassen, ist eine Kunst und der Schlüssel für eine wirkungsvolle Erinnerungskultur: Ich freue mich daher sehr auf Ihre Perspektiven. Herzlichen Dank, dass Sie beide heute da sind.

Meine Damen und Herren, zu Beginn will ich einen kurzen Blick auf die deutsche Gesellschaft werfen, in die Fritz Bauer 1949 aus dem Exil in Skandinavien zurückkehrte.

Dank der Befreiung durch die Alliierten glaubte und hoffte die Nachkriegsgesellschaft, dass man die Tür zur Zeit des Nationalsozialismus geschlossen habe. Weit geöffnet hingegen schien die Tür in eine zwar unbestimmte, aber hoffentlich ‚bessere‘ Zukunft. Doch viele der Menschen, die ab Mai 1945 diese Tür durchschritten, waren immer noch dieselben: Mitglieder von SS-Wachmannschaften oder der Gestapo, Richter, Anwälte, Verwaltungsangestellte, Mitläufer und Täter; Menschen, die mit der NS-Propaganda auf-gewachsen waren und von ihr geprägt wurden. Als sie über die Schwelle in die Zukunft traten, hatten sie im Gepäck ihre Taten und Weltanschauungen aus der NS-Zeit.

Denn es war nicht das zusammengebrochene System des Nationalsozialismus, das Minderheiten verfolgt, gefoltert und ermordet hatte. Es war nicht „das System“, das durch den Zweiten Weltkrieg, durch Pogrome, Erschießungen und Vergasungen weltweit mehr als 60 Millionen Tote verursachte. Es war kein gesichtsloses, abstraktes System, das das größte aller Menschheitsverbrechen begangen hatte. Meine Damen und Herren, es waren Menschen, die anderen Menschen das antaten.

Nach 1945 waren diese Taten, die nie Recht waren, auch offiziell: Unrecht. Doch in der Nachkriegszeit und auch in der jungen Bundesrepublik war es mehr oder weniger gesellschaftlicher Konsens, die Akte „Nationalsozialismus“ zu schließen. Als die Alliierten den Deutschen Stück für Stück staatliche Kompetenzen zurück-gaben, kehrten viele der Täter in ein normales Leben und auch auf Dienststellen im öffentlichen Dienst zurück. 

Natürlich gab es dagegen Widerstand. Es gab in Politik und Gesellschaft Menschen, die eine Aufarbeitung anstrebten. Diese Stimmen waren aber in der Minderheit.

Fritz Bauer, dem es gelungen war, 1936 ins Exil nach Dänemark und von dort nach Schweden zu fliehen, wollte sofort nach Kriegsende zurück nach Deutschland. Er wollte mithelfen, einen demokratischen Staat aufzubauen. Aus verschiedenen Gründen konnte er erst vier Jahre nach Kriegsende – und nach 13 Jahren Exil – in sein Geburtsland Deutschland zurückkehren. In ein Land, das ihn 1933 aus dem Staatsdienst entlassen hatte. Ein Land, in dem er als jüdischer Deutscher rassisch verfolgt worden war. Ein Land, in dem nichts mehr an ihn erinnerte.

Ohne Fritz Bauer wäre die Bundesrepublik heute eine andere. Er war nicht der einzige Generalstaatsanwalt in der Bundesrepublik. Aber der einzige, der aktiv den Mantel des Schweigens über die Vergangenheit zerriss. So erhebt er 1963 Anklage gegen 22 NS-Täter. Er konzipiert den Prozess als öffentliche Verhandlung: die ganze Gesellschaft soll von den Gräueltaten in den KZs erfahren. Alle sollen erfahren, was geschehen war. Die ganze Gesellschaft soll Gericht halten über sich selbst: Damit sich die Zeit des Nationalsozialismus, damit sich der Holocaust, nie wiederholt.

Als Fritz Bauer im März 1933 von den Nationalsozialisten in seinem Dienstzimmer verhaftet wurde, schauten die Kollegen zu: Keiner seiner Kollegen am Stuttgarter Amtsgericht erhob Einspruch. Für seinen Einsatz zur Aufklärung der NS-Verbrechen, war der Protest und der öffentliche Aufschrei umso lauter: Demokratische Parteien forderten seine Entlassung als Generalstaatsanwalt. Mitten in der Nacht erhielt er Drohanrufe. Allzu oft stand er isoliert in der Gesellschaft da. 

Er machte aber trotzdem weiter: Weil er überzeugt war als Jurist, als Sozialdemokrat und als Mensch das Richtige zu tun. Für seine unbeirrbare Haltung, seine Überzeugung und Ausdauer können wir ihm unglaublich dankbar sein. Denn heute wissen wir: er hatte Recht! 

Liebe Gäste, 20 Jahre nach Kriegsende sagte Fritz Bauer: „Nichts ist – wie man zu sagen pflegt – ‘bewältigt‘. Wir stehen erst am Anfang, mag auch die breiteste Öffentlichkeit sich gerne in dem Glauben wiegen, sie habe schon so viel getan, dass ihr zu tun fast nichts mehr übrigbleibe.“ Auch heute ist die Aufarbeitung der NS-Zeit nicht abgeschlossen. Auch heute hören wir wieder NS-Parolen in den Sozialen Medien, auf Partys und sogar in den Parlamenten. Wir spüren, wie Dinge ins Wanken kommen: Demokratie, Rechtsstaatlichkeit, Menschenrechte. Wir erleben, wie Minderheiten und die Schwächeren in der Gesellschaft vermehrt das Ziel gewalttätiger Sprache und von Diskriminierung werden. Und – wie einige Gruppen weltweit fordern – dass statt einem starken Recht, das uns alle schützt, das Recht der Stärkeren gelten soll.

Das ist keine einfache Zeit, denken wir manchmal. Aber wenn wir uns anschauen, wie wehrhaft unser Grundgesetz, wie gesichert unser Rechtsstaat, wie engagiert die Zivilgesellschaft ist, dann weiß ich: Wir haben es heute so viel leichter als Fritz Bauer in seiner Zeit. Und ich finde, wir sind es ihm und seinem Lebenswerk schuldig, in seinem Sinne aktiv zu sein und zu bleiben. Aktiv zu sein für Aufklärung, Wahrheit und Gerechtigkeit.

Ich wünsche uns allen einen inspirierenden, ermutigenden Abend und freue mich auf Ihren Impuls, Herr Dr. Steinke!

Vielen Dank!