07. November 2023

Grußwort der Präsidentin: „Im Austausch: Junges jüdisches Leben im Land“

Guten Abend meine Damen und Herren,

Ihnen allen ein herzliches Willkommen im Landtag von Baden-Württemberg.

Stellvertretend für den Landtag begrüße ich

  • Herrn Abgeordneten Hildenbrand für die Fraktion Grüne
  • Herrn Abgeordneten Gehring für die CDU-Fraktion
  • Frau Abgeordnete Steinhülb-Joos für die Fraktion der SPD
  • Herrn Abgeordneten Dr. Kern für die Fraktion FDP/DVP
  • Herrn Abgeordneten Baron für die AfD-Fraktion.

Es ein starkes Zeichen, dass heute Abend besonders viele Abgeordnete anwesend sind, Ihnen allen ein herzliches Willkommen!

Stellvertretend für die Landesregierung begrüße ich Frau Ministerin Schopper. Ich begrüße den Beauftragten der Landesregierung gegen Antisemitismus, Herrn Dr. Blume. sowie die Vertreterinnen und Vertreter der Institutionen, Bildungsträger, Verbände, Vereine und der Religionsgemeinschaften.

Sehr froh und glücklich bin ich über die Teilnahme der Vertreterinnen und Vertreter der Israelitischen Religionsgemeinschaften: Für den Vorstand der IRG Baden begrüße ich ihren Sprecher Herrn Suliman sowie Frau Althausen. Für die IRG Württemberg begrüße ich die Sprecherin Frau Prof. Traub sowie Herrn Kashi und Herrn Rubinstein.

Ihnen allen ein herzliches Willkommen!

Ich begrüße zudem die Vertreterinnen und Vertreter des Konsularischen Korps. Ganz besonders begrüße ich die Generalkonsulin des Staates Israel, Frau Lador-Fresher, die im Anschluss ebenfalls einige Worte an uns richten wird.

Ich bin sehr glücklich, dass diese Veranstaltung auf so großes Interesses stößt. Besonders bei so vielen Schülerinnen und Schüler, die heute aus 9 Schulen verschiedener Schularten und unterschiedlichen Städten hergekommen sind. Herzlich willkommen an Sie und euch alle!

Liebe Gäste, vor über einem halben Jahr haben wir uns für das Thema der heutigen Veranstaltung entschieden. Wir wollten dem jungen jüdischen Leben in Baden-Württemberg eine Bühne geben, weil uns dieses Leben am Herzen liegt. Wir wollten Austausch darüber ermöglichen, was es bedeutet, heute jung und jüdisch in Baden-Württemberg zu sein.

Und wir wollten die Zusammenarbeit zwischen Baden-Württemberg und Israel würdigen. Eine sehr enge Zusammenarbeit, die sich in sehr vielen Bereichen manifestiert. Unter anderem im Stipendienprogramm, das der Landtag vor 35 Jahren ins Leben gerufen hat und vom Ministerium für Wissenschaft und Kunst seitdem durchgeführt wird. Und ja, wir wollten all das auch unbeschwert feiern. Zum unbeschwerten Feiern ist mir seit dem 7. Oktober aber nicht zumute. Ihnen sicher auch nicht.

Vor genau einem Monat wurde Israel von der Terrororganisation Hamas angegriffen. Die Terroristen ermordeten auf bestialische Weise über 1400 Menschen, schändeten, vergewaltigten, und nahmen über 200 Geiseln.

Gewütet und gemordet haben islamistische Terroristen. Keine Freiheitskämpfer.

Nein, es ist sicher nicht die Zeit, in der wir unbeschwert feiern können. Sondern die Zeit, in der wir gemeinsam trauern, bangen – und vor allem auch in Wort und Tat Haltung zeigen müssen: Es ist die Zeit für Solidarität.

Dazu gehört auch, dass genau dieser Abend heute stattfindet! Es stand für mich außer Frage, die Veranstaltung heute Abend durchzuführen. Ich bin allen Teilnehmenden sehr dankbar, dass sie dies genauso sehen und heute Abend hier sind: Gerade jetzt ist es wichtig, der Trauer und dem Schmerz Raum zu geben; und sich gegenseitig zu unterstützen.

Für Jüdinnen und Juden unter uns stellt der Terror der Hamas und dessen schier unvorstellbare Verharmlosung, – oder noch schlimmer: die offene Unterstützung durch viele tausend Menschen – eine existentielle Bedrohung dar: Eine existentielle Bedrohung in Israel, der ganzen Welt, und auch in Deutschland und hier, in Baden-Württemberg.

85 Jahre nach der Reichspogromnacht erleben wir in Deutschland einen Antisemitismus, den ich nicht für möglich gehalten hätte: Häuser werden mit Davidsternen ‚markiert‘, antisemitische Parolen skandiert und antisemitische Stereotype auch von Menschen bedient, denen ich eine vorurteilsfreie und differenzierte Betrachtung zugetraut hätte.

Jüdinnen und Juden in Deutschland werden bedroht und leben wieder in Angst.

Sehr geehrter Herr Kashi, Sie haben vor einigen Tagen im stern einen Eindruck davon gegeben, wie sehr das jüdische Leben auch hier in Stuttgart momentan beeinträchtigt ist: viele Eltern machen sich große Sorgen um ihre Kinder, die Sicherheitsmaßnahmen mussten weiter verstärkt werden: nun steht die Polizei Tag und Nacht vor jüdischen Einrichtungen. Es gälte der Ratschlag: „Sag nicht, dass du jüdisch bist!“.

Mich erschüttert das zutiefst.

Wir alle – als Politik, als Zivilgesellschaft und als Rechtsstaat – sind gefordert, hier eindeutig Position gegen antisemitische Hetze und Bedrohung zu beziehen und Haltung zu zeigen.

Nie wieder – das haben wir uns geschworen - sollen Jüdinnen und Juden Angst haben müssen, in Deutschland zu leben.

„Wehret den Anfängen“ heißt es immer. Doch es hat bereits wieder angefangen. Und die Zeit, sich zu wehren, ist JETZT! Wir müssen Diskriminierung und Antisemitismus überall dort bekämpfen, wo er uns begegnet.

Denn leider hat der Antisemitismus Deutschland nie ganz verlassen. Wer glaubt, Antisemitismus abschieben zu können, irrt: Der Rechtsextremismus im Land zieht sein Lebenselixier aus dem Antisemitismus, und auch die linksextreme Szene bedient das antisemitische Narrativ ebenfalls seit Jahrzehnten.

Wir müssen uns mit diesen Stimmen im Lande genauso auseinandersetzen, wie mit denen in Teilen muslimischer Kreise. Denn seit dem Angriff der Hamas auf Israel erleben wir auf unseren Straßen und in den sozialen Medien zunehmend offenen Antisemitismus: Antisemitische Hetze und Verschwörungs-Erzählungen verbreiten sich rasend schnell, und der ‚Krieg der Bilder‘ ist fast nicht zu gewinnen.

Welche Bilder stimmen oder nicht ist oft schwer zu erkennen. Dabei ist es so wichtig, sich abseits der eigenen Filterblase ein differenziertes Bild zu machen. Sich zu informieren und in den Austausch mit anderen Meinungen zu kommen.

Deshalb freue ich mich sehr, dass heute Abend so viele Schülerinnen und Schüler hier sind und genau das tun. Ich finde das prima und bitte euch: Macht weiter so! Schaut genau hin, stellt Fragen, hört verschiedene Meinungen und traut euch zu widersprechen, wo Menschen ihrer Würde beraubt werden. Ich wünsche euch ein soziales wie schulisches Umfeld, das euch dabei unterstützt und dies ermöglicht.

Ich danke allen Lehrkräften, dass sie gerade in diesen aufgewühlten Zeiten junge Menschen dabei begleiten, komplexe Sachverhalte und unterschiedliche Informationen einzuordnen. Dass sie helfen zu verstehen, ohne zu relativieren.

Meine Damen und Herren, gerade jetzt ist es wichtig zu zeigen, dass jüdisches Leben vielfältig und ein untrennbarer, unverzichtbarer Teil unseres Landes ist. Es gehört zum großen Glück der deutschen Nachkriegsgeschichte, dass trotz des Menschheitsverbrechens der Shoa Jüdinnen und Juden in Deutschland geblieben sind. Dass sich die Überlebenden hier wieder ein neues Leben aufgebaut haben. Dass nach dem Krieg wieder jüdische Gemeinden entstanden sind (die erste übrigens hier in Stuttgart). Dass Menschen jüdischen Glaubens wieder nach Deutschland einwanderten. Die Gründe dafür sind vielschichtig und haben leider auch mit Antisemitismus-Erfahrungen an anderen Orten der Welt zu tun. Aber welch ein Geschenk, dass jüdische Kultur in Deutschland wieder sichtbar wurde und ihren Platz einnehmen konnte: Über 1700 Jahre jüdisches Leben in Deutschland zeugt davon, dass das Judentum zu Deutschland, unserer Geschichte, unseren Traditionen gehört!

Die übergroße Mehrheit der Abgeordneten empfindet jüdisches Leben in Baden-Württemberg als Bereicherung und steht solidarisch an der Seite von Jüdinnen und Juden. Der Landtag von Baden-Württemberg wird zudem die Zusammenarbeit mit Israel weiter ausbauen: Im Gespräch ist z. B. die Beteiligung am geplanten Deutsch-Israelischen Jugendwerk oder der Ausbau von Städtepartnerschaften. Auch wird auf Grundlage des existierenden Staatsvertrags in einer Woche in Heidelberg das Jüdische Bildungszentrum B-W Akademie gegründet. Damit wird in Baden-Württemberg ein weiterer Ort geschaffen, um Austausch und Begegnung zu fördern.

An die Kraft der persönlichen Begegnung und Verständigung hat auch Ofir Libstein geglaubt. Ofir Libstein war Landrat der israelischen Partnerregion des Landkreises Karlsruhe. Er engagierte sich nicht nur für die Aussöhnung zwischen Israel und Deutschland, er glaubte auch an eine Versöhnung und einen Frieden zwischen Juden und Palästinensern.

Noch im letzten Jahr schrieb er in einer US-amerikanischen Zeitung: „Wir wissen, dass die meisten Menschen in Gaza – genau wie wir –ihr Leben in Frieden verbringen möchten. Sie möchten bedeutungsvolle, gut bezahlte Arbeit und Gesundheitsversorgung für sich und ihre Familien haben. Es gibt einen Weg, um das zu ermöglichen.“

Ofir Libstein wollte diesen Weg gehen. Er träumte von einem gemeinsamen Gewerbegebiet von Israelis und Palästinensern an der Grenze zu Gaza. Er wollte, – ich zitiere: „Hoffnung dort ermöglichen, wo die Hamas keine Hoffnung erlaubt“.

Am 7. Oktober ermordete die Hamas bei ihren grausamen Terroranschlägen auch Ofir Libstein. Er hatte noch versucht, sich den ankommenden Terroristen in den Weg zu stellen und andere Bewohnerinnen und Bewohner seines Heimat-Kibbuz zu schützen. 76 Menschen wurden dort bestialisch in ihren Häusern ermordet, unzählige Menschen wurden verwundet, 22 mit unbestimmtem Schicksal entführt.

Zu dieser Zeit war eine Gruppe von Berufsschülern im Alter von 16 bis 19 Jahren sowie ihre Begleiter aus dem Landkreis Karlsruhe gerade für einen Jugendaustausch in Israel. Nach vier Tagen der Ungewissheit und Angst gelang Ihnen – auch mit Unterstützung des Landratsamts Karlsruhe – die sichere Ausreise. Herzlich willkommen an dieser Stelle dem Ersten Landesbeamten Herrn Knut Bühler und danke für ihr Engagement in der deutsch-israelischen Zusammenarbeit.

Meine Damen und Herren, lassen Sie uns Ofir Libstein gemeinsam gedenken. Lassen Sie uns allen Opfern des Terrorangriffs auf Israel gedenken. Dabei wissen wir: auch in Gaza sterben unschuldige Menschen. Menschen, die durch die Hamas in Geiselhaft genommen und rücksichtslos geopfert werden - auch Ihnen gilt unsere Anteilnahme.

Lassen Sie uns unsere Gedanken auf unser Mitgefühl mit den Opfern und auf die Trauer ihrer Lieben richten.

Ich bitte Sie um eine Schweigeminute. [Schweigen]

Die Hamas hat Ofir Libstein ermordet. Seinen Traum aber, seinen Traum von Frieden, von Verständigung, von einer gemeinsamen Zukunft – nach einer grausamen Vergangenheit – kann sie nicht zerstören. So schwer es angesichts der letzten Wochen ist und so viel es uns menschlich auch abverlangt: Wir müssen weiterhin an die Kraft der Verständigung, der Begegnung und des Austauschs glauben. Die Hamas, die Antisemiten überall auf der Welt, dürfen uns diese Hoffnung nicht zerstören.

Begegnung und Austausch zu ermöglichen – das war und ist auch ein zentrales Ziel des Stipendienprogramms, dass der Landtag von Baden-Württemberg 1988 – anlässlich des 50. Jahrestages der Reichspogromnacht – geschaffen hat. Mit dem Stipendienprogramm stärkt der Landtag die wissenschaftliche und wirtschaftliche Zusammenarbeit mit Israel: Nachwuchswissenschaftlerinnen und Nachwuchswissenschaftler aus Israel können mit Hilfe des Programms in Baden-Württemberg studieren, forschen und Praktika absolvieren. Und umgekehrt können junge Menschen aus Baden-Württemberg das auch in Israel tun.

Sie reisen nicht nur dort hin, um zu studieren – sondern auch um die Sprache, die Kultur, die historischen Orte und vor allem die Menschen kennenzulernen. Sie lernen ein vielfältiges, ein inspirierendes und ein sehr spannendes Land kennen.

Sie können nachher unten im Foyer einen kurzen Film sehen, in dem zwei Absolventinnen von ihren Erfahrungen berichten. Sie haben den Aufenthalt in Israel auf verschiedenen Ebenen als sehr bereichernd wahrgenommen. Der dritte Stipendiat war zum Zeitpunkt des Drehs voller Vorfreude auf seine anstehende Reise. Einige Wochen später – am 5. Oktober – kam er in Tel Aviv an. Er erlebte jedoch nur zwei Tage Frieden in Israel. Er lebte eine Woche in Tel Aviv unter Raketenalarm, und brach danach sein Stipendium ab. Dennoch - er fühlt sich der Region mehr denn je verbunden und ist fest entschlossen, seinen Aufenthalt in Israel im nächsten Herbst nachzuholen.

Sehr geehrte Damen und Herren, die Jüdische Studierendenunion schrieb vor zwei Jahren auf ihrer Webseite: „Jüdinnen und Juden in Deutschland müssen sich nicht für die innerpolitischen Konflikte in Israel verantworten. Wir sehen aber, dass die Geschehnisse in Israel unmittelbare Konsequenzen für Jüdinnen und Juden in Deutschland haben.“

Mich betrübt sehr, dass es diese Aussage braucht. Mich betrübt, dass eine undifferenzierte Gleichsetzung von Juden und Israelis immer wieder von den in Deutschland lebenden Jüdinnen und Juden verlangt, die eigene Beziehung zum Staat Israel zu erläutern.

Gleichzeitig, so formulierte es der Vorsitzende des Zentralrats der Juden, Dr. Josef Schuster, sahen Jüdinnen und Juden in Deutschland in der bloßen Existenz des Staates Israel – der jedem Juden ein Einbürgerungsrecht garantiert – eine Art Lebensversicherung. Die Existenz dieses ‚sicheren Hafens‘ ist nun akut bedroht. Und in Deutschland steigt die antisemitische Bedrohungslage massiv.

Zwischen diesen beiden Polen steht nun auch die heutige Veranstaltung.

Ich freue mich, dass wir junge jüdische Stimmen in und aus Baden-Württemberg hören und auch darüber ins Gespräch kommen werden.

Zunächst werden wir gemeinsam den mehrfach preisgekrönten Kurzfilm „Masel Tov Cocktail“ sehen. Ich freue mich sehr, dass der Regisseur Arkadij Khaet heute hier ist.

Als weitere Teilnehmende der anschließenden Gesprächsrunde begrüße ich ganz herzlich

  • Hanna Veiler, Präsidentin der Jüdischen Studierendenunion,
  • Sami Wedde von der der Initiative „Meet a Jew“, sowie
  • Sarah Gerdiken, Stipendiatin des Landtagsstipendienprogramms.

Ich bin sehr bewegt und froh, dass Sie alle heute hier sind. Seitdem Sie zugesagt haben, hat sich die Welt geändert. Ich kann mir nur ansatzweise vorstellen, wie sich Ihr Leben und Ihre Wahrnehmung seitdem geändert hat. Wie sich das auswirkt, werden wir heute Abend von Ihnen hören, und dafür bin ich außerordentlich dankbar. Ein herzliches Willkommen auch an Herrn Mark Kleber, der diesen sicher sehr emotionalen Abend moderieren wird.

Ich wünsche uns allen einen Abend, an dem Menschen unterschiedlichen Glaubens, unterschiedlicher Herkunft, mit unterschiedlichen Lebens- und Alltagsvorstellungen, einander zuhören, sich beistehen und es schaffen, sich vorurteilsfrei zu begegnen.

Ich denke, auch das wäre im Sinne von Ofir Libstein.

Ich bitte nun Sie, sehr verehrte Generalkonsulin Lador-Fresher, auf die Bühne.