Grußwort der Präsidentin zum Rathausempfang Stuttgart Pride am 15.7.2022 im Rathaussaal Stuttgart

Sehr geehrter Herr Oberbürgermeister Dr. Nopper,
Liebe Frau Dr. Christmann, lieber Herr Gastel und liebe Frau Skudelny aus dem Bundestag,
lieber Oliver Hildenbrand und liebe Frau Steinhülb-Joos aus dem Landtag von Ba-Wü,
geehrte Frau Staatssekretärin Dr. Leidig,
liebe Mitglieder des Gemeinderats,
sehr geehrte Frau Frey,
sehr geehrter Herr Raasch,
sehr geehrter Herr Schreier,
liebe Organisator*innen des Stuttgart Pride,
liebe Menschen!
Ihnen alles ein herzliches Willkommen! Ich bin sehr stolz - als Landtagspräsidentin meiner Heimatstadt als Schirmfrau des Stuttgart Pride dienen zu dürfen. Ich erlebe – und genieße – den CSD seit über 20 Jahren. Ich freue mich, dass die Institution CSD bzw. Pride in diesen zwei Jahrzehnten stark gewachsen ist. Und ich freue mich, dass sie sich treu geblieben ist. Der Stuttgart Pride ist politisch. Parade und Programm
- greifen aktuelle gesellschaftliche Themen auf,
- geben politische Impulse,
- fordern und fördern Veränderung und Fortschritt.
Am Motto 2022: „Community. Kraft. Europa“ wird das besonders deutlich. Denn europäische Werte stehen unter Beschuss. Diese Werte zu bewahren, braucht europäische Solidarität. Die Community zeigt diese Solidarität. Einige von Ihnen waren vor wenigen Wochen in Stuttgarts Partnerstadt Lodz und und haben den dortigen „Marsch der Gleichheit“ unterstützt, ebenso - vor wenigen Tagen - den CSD in Bukarest. In beiden Ländern sind Freiheitsrechte in Gefahr: In Rumänien droht gerade ein Gesetz, das als Verbot sogenannter Homo-Propaganda die Meinungsfreiheit einschränken würde. In Polen wiederum erklären sich einige Kommunen und Regionen zu sogenannten LGBT-freien Zonen.
Solche „staatlich ausgerufene Zonen“ bedeuten, dass Menschen außerhalb einer staatlich vorgegebenen Norm nicht frei sind, sie selbst zu sein. Das ist unvereinbar mit den demokratischen Prinzipien Europas. Ich werbe auf europäischer Ebene dafür, dass diese Prinzipien auf EU-Ebene nicht verhandelbar sind. Als EU müssen wir diese Werte stärken und verteidigen. Der „Marsch der Gleichheit “ in Lodz, die CSDs in Bukarest und in anderen osteuropäischen Städten demonstrieren den Freiheits-Wunsch der Menschen, so zu leben und zu lieben, wie sie wollen.
Die große Beteiligung vieler gesellschaftlicher Gruppen an diesen Märschen zeigt, wie breit die Solidarität und der Einsatz für dieses Grundrecht ist. Und es zeigt, wie wirkungsvoll Druck auf dieser politischen Ebene ist, wenn Zivilgesellschaft ihn erzeugt und nachhaltig aufrechterhält. Die IG CSD, der Verein 100 % Mensch und viele Mitstreiterinnen und Mitstreiter zeigen mit ihrer Präsenz in ganz Europa, dass das ein europäischer Freiheitskampf ist.
Ihnen allen, die Sie mit Ihren Besuchen – aber auch sonstigen Zeichen der Solidarität – die dortigen Communities verstärkt und gemeinsam ein starkes – und nötiges – Zeichen gesetzt haben, danke ich sehr! Dass es – in der Tat – ein Kampf ist, sagt uns leider auch: Das Ziel eines Europas als Wertegemeinschaft, als Verteidigerin von Freiheit und Menschenwürde, haben wir noch nicht erreicht. Diese Idee von Europa hat Feinde: auch innerhalb der Institutionen der EU.
Als Präsidentin des Landtags von Baden-Württemberg sitze ich auch im Ausschuss der Regionen - kurz AdR. Der AdR hat kürzlich u.a. eine „Stellungnahme zur EU-Strategie für die Gleichstellung von LSBTTIQ“ abgegeben. Dazu gab es Änderungsanträge von ungarischen Ausschuss-Mitgliedern. Sie wollten erreichen, dass die EU ihre Ablehnung von sogenannten Konversionstherapien aufgeben soll. Auch die Ablehnung von erzwungenen medizinischen Eingriffen gegen intersexuelle und Transgenderpersonen hätte der Ausschuss streichen sollen.
Diese menschenverachtenden Anträge haben wir mit großer Mehrheit abgelehnt. Aktuell ist es zwar nur eine kleine Minderheit im AdR-Plenum, die die Rechte von Minderheiten beschneiden will. Das große Bild ist dennoch erschreckend und alarmierend. Vor wenigen Jahren recherchierte ein Team des Senders Arte über ein paneuropäisches und finanzstarkes rechts-religiöses Netzwerk „Agenda Europe“. Dieses Netzwerk ist bis heute vor allem in Osteuropa sehr aktiv bei Kampagnen gegen Abtreibungsrechte und gegen die rechtliche Anerkennung von
LSBTTIQ. Im Namen einer so genannten natürlichen Ordnung“ und unter dem Deckmantel der Religionsfreiheit wird hier ein Freibrief für Hass und Diskriminierung ausgestellt. Hass und Diskriminierung, auf die leider nicht selten Gewalt folgt.
Liebe Gäste,
sexuelle und geschlechtliche Identität ist ein Hauptangriffspunkt derjenigen, die von einem „Zurück ins Vorgestern“ träumen. Diese Angreifer sind darüber hinaus Feinde der Vielfalt insgesamt. Feinde der Gleichberechtigung von Frauen und Männern oder überhaupt der Vorstellung, dass es eine Vielfalt von Herkunft, Sprache, Religion, sexueller und geschlechtlicher Identität gibt. Und, dass diese Vielfalt Normalität ist! Netzwerke wie „Agenda Europe“ – und das ist nur ein Beispiel von vielen – sind momentan im Osten Europas deutlich präsenter. Aber wenn sie dort Erfolg haben, dann werden wir das hier sehr schnell zu spüren bekommen. Ich danke daher Allen, die für uns alle in Europa aktiv sind und aktiv werden.
Wir dürfen uns auch hier auf den politischen und rechtlichen Erfolgen der Vergangenheit nicht ausruhen. Im Gegenteil: Wir erleben gerade – auch das europaweit – eine Kampagne insbesondere gegen Transsexuellen-Rechte. Umso mehr freue ich mich, dass das Selbstbestimmungsgesetz auf Bundesebene auf den Weg gebracht ist. Wenn Menschen so leben möchten, wie sie sich fühlen, dann hat der Staat das nicht zu bewerten oder gar zu pathologisieren. Es ist vielmehr staatliche Aufgabe, dafür einen liberalen, diskriminierungsfreien Rahmen zu setzen. Nicht mehr – aber auch nicht weniger. Denn, wenn der Staat Rechte gewährt und regelt, dann muss er sie auch konsequent verteidigen.
Auch da sind wir aktuell stärker gefragt als mir lieb ist. Von mehreren CSDs dieser Saison gibt es Polizeiberichte über Attacken auf Besucher*innen. Auch in Stuttgart gab es im vergangenen und in diesem Jahr Verbrennungen von Regenbogenfahnen. Das sollten wir nicht auf die leichte Schulter nehmen. Es geht bei solchen – nur vermeintlich kleinen – Attacken nicht darum, wie hoch der Sachschaden einer verbrannten Fahne ist. Es geht darum, was die Täter damit bezwecken: Sie attackieren ein Symbol der Freiheit und der offenen Gesellschaft. Sie wollen diese Freiheit durch Angst beschränken. Darauf muss der Staat reagieren. Er muss diese Freiheit schützen. Sonst fühlen sich Täter ermutigt, die Spirale der Gewalt weiter zu drehen.
Wir sind aktuell schwer erschüttert über den Terror in Oslo. Wir wissen wenig mehr, als dass die Polizei den Anschlag auf eine Gay-Bar als islamistisches Attentat beurteilt. Aber wir wissen aus der Forschung, dass gewaltausübende religiöse und politische Extremisten fast immer im Glauben handeln, eine schweigende Mehrheit befürworte ihre Taten. Diesen Radikalisierungsprozess können wir nur dann unterbrechen, wenn wir den Hass – immer und überall – bekämpfen: Wenn der Kampf gegen Hass und Hetze sichtbarer Teil gesellschaftlicher Normalität ist. Damit Sie, liebe Gäste, einfordern können, was ein Staat dazu beitragen muss, hat der Landtag vor wenigen Jahren die Institution einer Bürger- und Polizeibeauftragten geschaffen. Angesiedelt ist die Stelle der Beauftragten Frau Böhlen und ihres Teams beim Landtag. Das ist entscheidend für ihre Unabhängigkeit.
Als Präsidentin setze ich mich dafür ein, dass das Amt der Bürger- und Polizeibeauftragten angemessen ausgestattet ist und wir ihre Kompetenzen und Eingriffsmöglichkeiten noch erweitern. Im Fall der queerfeindlichen Attacken am Rande des CSD Karlsruhe beispielsweise ist die Beauftragte umgehend tätig geworden. Sie hat sofort das Gespräch mit der Karlsruher Polizeipräsidentin gesucht, um die Beschwerden an höchster Stelle einzubringen. Ziel, ist es, die Polizei zu sensibilisieren und ihre Arbeit zum Schutze ALLER Menschen zu verbessern.
100 % Mensch hat zu diesem Thema eine treffende Kampagne ins Leben gerufen. Deren Slogan ist auch mein Appell: „Zeig Sie an!“ Ich möchte das erweitern: „Wenn die Anzeige nicht ernst genommen wird, dann machen Sie Druck!“ Das alles sind wichtige Bausteine für unsere Freiheit. Bausteine für ein liberales Lebensgefühl, das man in unserer Stadt an kaum einem anderen Tag so stark spürt, wie am Tag der Parade: Wenn Hundertausende mit und durch den „Stuttgart Pride“ für Vielfalt und gleiche Rechte demonstrieren und die Lebensfreude einer offenen Gesellschaft sichtbar machen und feiern.
Ich freue mich darauf!