Grußwort der Präsidentin zur Joseph-Ben-Issacher-Süßkind-Oppenheimer-Auszeichnung

Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Gäste,
zur diesjährigen Verleihung der Joseph-Ben-Issacher-Süßkind-Oppenheimer- Auszeichnung heiße ich Sie herzlich willkommen!
Ich begrüße herzlich, stellvertretend für die Israelitische Gemeinde Württembergs, als unsere heutige Gastgeberin Frau Professorin Barbara Traub, die Vorsitzende der IRGW, zusammen mit ihren Vorstandskollegen, Herrn Michael Kashi und Herrn Mihail Rubinstein.
Gast sind wir heute im Neuen Schloss, dafür ein Dank die Landesregierung, für die ich stellvertretend Herrn Staatsekretär Thomas Blenke begrüße.
Stellvertretend für den Landtag begrüße ich Herrn Daniel A. Lede Abal, stellvertretender Fraktionsvorsitzender der Fraktion Grüne, Herrn Christian Gehring für die CDU Fraktion, Herrn Dr. Boris Weirauch für die SPD-Fraktion und Herrn Dr. Timm Kern, stellvertretender Fraktionsvorsitzender der FDP/DVP.
Herzlich willkommen ebenso Herr Vizepräsident Daniel Born.
Ich begrüße Herrn Dr. Michael Blume, Antisemitismusbeauftragter der Landesregierung, sowie die Vertreterinnen und Vertreter der Institutionen, Verbände und Vereine, der Religionsgemeinschaften, der nationalen Minderheiten und der Presse.
Ganz besonders freue ich mich, dass die neue Generalkonsulin des Staates Israel in München, Frau Talya Lador Fresher, heute hier ist und auch zu uns sprechen wird.
Liebe Frau Fresher, ich hoffe Sie hatten einen guten Start in Ihrem neuen Amt, auf unser Kennenlernen und die Fortsetzung des guten Austauschs freue ich mich sehr. Der Landtag von Baden-Württemberg und die Israelitische Religionsgemeinschaft Württembergs würdigen mit dieser Auszeichnung herausragendes Engagement gegen Minderheitenfeindlichkeit und Vorurteile in Wissenschaft und Publizistik.
Ich danke für die vielfältigen Vorschläge, die den Landtag dazu erreicht haben. Und ich danke allen Mitgliedern der Auswahlkommission, denen die Auswahl nach intensiver Debatte nicht leichtgefallen ist. Die Auswahl fiel dieses Jahr auf zwei Personen, die sich auf ganz unterschiedliche Weise gegen Minderheitenfeindlichkeit und Vorurteile in Wissenschaft und Publizistik verdient gemacht haben.
Sehr geehrte Frau Professorin Anat Feinberg, sehr geehrter Herr Anton Maegerle,
herzlich willkommen zu Ihrer Preisverleihung! Ich begrüße Sie beide aufs Herzlichste. Ich begrüße Sie beide, auch wenn Herr Maegerle heute Abend leider gar nicht hier ist. Er kann nicht hier sein, da sein Leben bedroht ist. Bedroht durch diejenigen, deren Verbrechen er beim Namen nennt. Bedroht durch diejenigen, deren feige Taten er dokumentiert und publik macht. Unter großem persönlichem Einsatz und Gefahr für sein eigenes Leben deckt Anton Maegerle seit Jahrzehnten rechtsradikale Strukturen auf. Er dechiffriert rechtsextreme Narrative und legt auch dort den Finger in die Wunde, wo staatliche Stellen, so ehrlich müssen wir sein, bei der Bekämpfung des Rechtsextremismus versagt haben. Anton Maegerle richtet den Scheinwerfer darauf, was zu viele zu lange nicht sehen wollten, den Rechtsextremismus in all seinen menschenverachtenden, diskriminierenden und teils tödlichen Facetten. Im Jahr 2020 richtete das Land Baden-Württemberg, beim Landesarchiv Baden-Württemberg in Karlsruhe, eine Dokumentationsstelle Rechtsextremismus ein, in die Anton Maegerle seine umfangreiche Materialsammlung einbrachte.
Sehr geehrter Herr Professor Zimmermann, ich freue mich, dass Sie, als Abteilungsleiter des Generallandesarchivs Karlsruhe, heute bei uns sind und uns das Wirken Anton Maegerles mit Ihrer Laudatio näherbringen. Auch werden Sie später seine Auszeichnung stellvertretend entgegennehmen.
Ebenfalls sehr herzlich willkommen heiße ich Frau Dr. Rachel Salamander. Als Publizistin, Literaturwissenschaftlerin und Verlegerin sind Sie eine herausragende Stimme unter anderem dafür, dass jüdisches intellektuelles Leben und Wirken nach dem Zweiten Weltkrieg in Deutschland wieder sichtbar wurde.
Sehr geehrte Frau Dr. Salamander, schön, dass Sie heute hier sind und die Laudatio auf unsere Preisträgerin Anat Feinberg halten werden. Frau Professorin Feinberg begeistert mit ihrer akademischen wie publizistischen Arbeit für die Vielfalt jüdischer Literatur und die Schönheit und Ausdruckskraft der hebräischen Sprache. Aus ihren Forschungen und Publikationen spricht vor allem auch eine große Liebe zu den Menschen, denen wir diese Werke und Sprachkunst zu verdanken haben. Anat Feinberg macht jüdische Kultur sichtbar. Sichtbar im Hier und Heute. Eine großartige Kultur, die schon seit Jahrhunderten das Geistesleben in Europa und Deutschland maßgeblich geprägt hat. Mit der systematischen Entrechtung und Vernichtung des europäischen Judentums hatte das nationalsozialistische Deutschland jedoch diesem Kultur- und Geistesleben seiner prägendsten Stimmen beraubt. Sie wurden ermordet, in den Tod getrieben, verstummten oder flohen in das rettende Exil. Einige der Überlebenden kehrten nach der Shoa nach Deutschland zurück. Das war keine leichte Rückkehr.
Das Nachkriegs-Deutschland tat sich schwer mit der Anerkennung eigener Schuld. Tat sich schwer mit der politischen wie juristischen Rehabilitierung der Überlebenden oder gar der Restitution ihres Besitzes. Mit Ihrer großen Studie zur jüdischen Remigration im deutschsprachigen Theater nach 1945 stellen Sie, liebe Frau Professorin Feinberg, die beschriebenen Künstlerinnen und Künstler, Theatermacher und Schauspielerinnen, wieder in das ihnen gebührende Rampenlicht. Eine Fallstudie dieser akribischen und lesenswerten Untersuchung widmen Sie Claudius Kraushaar. Claudius Kraushaar war zu Beginn des letzten Jahrhunderts einer der bekanntesten und umtriebigsten Theatermenschen in Deutschland.
So war er unter anderem Besitzer und Leiter des Theaters in der Kleinen Königstrasse in Stuttgart, heute bekannt als Altes Schauspielhaus. Unter Zwang musste er das Theater 1934 an die Stadt Stuttgart verkaufen. Ab 1945 forderte er die Rückgabe seines Theaters und Wiedergutmachung für das erlittene Unrecht ein. Als ihm zumindest das Theater wieder zurückgegeben wurde, war er am Ende dennoch zermürbt. Zermürbt von der Auseinandersetzung mit einer Stadt und einem Land, die das vergangene Unrecht nicht einsehen wollten. Zermürbt von den antisemitischen Anfeindungen, denen er stets ausgesetzt war. 1950 verpachtete er das Theater schließlich an die württembergischen Staatstheater. Claudius Kraushaar war mit dem Leben davongekommen. Zerstört worden aber war der Lebenstraum eines begnadeten und leidenschaftlichen Künstlers. Zerstört worden war sein Besitz und sein guter Ruf. Zerstörungen, die heraufbeschworen, angestachelt und begleitet waren von antisemitischer Hetze und Verleumdung.
Liebe Gäste,
mit der Verleihung der Oppenheimer-Auszeichnung erinnern wir auch an das Schicksal ihres Namensgebers. Joseph Süß Oppenheimer war zu seiner Zeit das bekannteste Opfer einer judenfeindlichen Hetzkampagne. Sein Schicksal wurde über Jahrhunderte für anti-jüdische Hetze missbraucht. Die Geschichte der Verleumdung und der Ermordung Joseph Süß Oppenheimers muss weiterhin erzählt werden. Die Geschichten von Claudius Kraushaar und anderen Entrechteten müssen weiterhin erzählt werden.
Erzählt werden, um zu erinnern, zu mahnen, aber auch zu würdigen. Ich freue mich daher sehr, dass die Stadt Stuttgart sich endlich entschlossen hat, den Joseph-Süß-Oppenheimer-Platz würdevoll umzugestalten. Wie auch an dieser Stelle schon mehrfach gefordert, wird mit dieser Umgestaltung für einen Begegnungs- und Erinnerungsort endlich Sichtbarkeit für das historische Unrecht geschaffen, das Joseph-Süß-Oppenheimer erfahren hat. Sichtbarkeit für lange Jahre der Verdrängung. Sichtbarkeit aber auch für das, was in einer demokratisch verfassten Gesellschaft auf vergangenes Unrecht und Verdrängung folgen kann, nämlich Vielfalt, Toleranz und eine engagierte Zivilgesellschaft. Mit dem Wissen aus der Geschichte können wir auch heute die Gefahren, die durch Antisemitismus, Diskriminierung, Rassismus und Vorurteile entstehen besser begreifen. Mit dem Wissen der Geschichte können wir die katastrophalen Dynamiken von Ausgrenzung und verbaler Brandstiftung besser bekämpfen oder sollte ich sagen wir könnten?
Unser Wissen um die Vergangenheit scheint nicht ausreichend vor Menschenfeindlichkeit, Ausgrenzung und Hass zu schützen. Die Zahl antisemitischer Straftaten ist seit Jahren erschreckend hoch. Laut einer aktuellen Studie teilen immer mehr Deutsche rechtsextreme Einstellungen, ihr Anteil hat sich im Vergleich zu den Vorjahren praktisch verdreifacht. Wir erleben eine Zeit, in der Politiker sich ungestraft geschichtsvergessen äußern dürfen und dadurch oder trotzdem an Zustimmung gewinnen. Genau wie eine Partei, die – zumindest in Teilen – vom Verfassungsschutz als ‘gesichert rechtsextrem’ eingestuft wurde. Politikerinnen und Politiker werden bedroht und eingeschüchtert. Demokratinnen und Demokraten werden mit Steinen beworfen. All das zeigt uns, wir dürfen nicht nachlassen, wir müssen weiter wachsam sein. Wachsam gegen die Feinde der Demokratie, gegen die Feinde der freien Presse, gegen die Feinde der unabhängigen Justiz. Es ist und bleibt die Verpflichtung aller mündigen Bürgerinnen und Bürger, unsere freiheitlich-demokratische Grundordnung zu bewahren, zu gestalten und weiterzuentwickeln, die Werte des Grundgesetzes mit Leben zu füllen.
Wenn ich das sage, nicken die meisten Menschen zustimmend: „Ja, das müssen wir tun!“ Gleichzeitig aber macht sich aktuell eine große Ratlosigkeit breit, wie wir das tun können. Was können wir neben Aufklärung, Bildung und einer lebendigen Erinnerungskultur noch tun, damit das gesellschaftliche Klima nicht weiter verroht? Damit nicht immer mehr Menschen rechten Parolen, falschen Versprechungen und antisemitischen Verschwörungsmythen Glauben schenken.
Meine Damen und Herren,
darüber, wie wir diese Ratlosigkeit überwinden, brauchen wir Dialog und Austausch.
Wir müssen uns gegenseitig zuhören. Auch wenn wir uns nicht immer einig sind. Wir müssen aushalten können, wenn der oder die andere eine andere Meinung hat. Und wir müssen bei all unseren Diskussionen vor allen Dingen ernstnehmen, wenn Menschen sich Sorgen machen und Existenzängste haben. Es steht erst einmal niemanden zu, diese Wahrnehmungen abzuwerten oder für irrational zu erklären. Oder gar zu postulieren, jemand habe einfach nicht verstanden, um was es eigentlich geht. Es ist erst einmal zutiefst menschlich, wenn die persönlichen Auswirkungen politischer Entscheidungen höher bewertet werden als die langfristigen dahinterliegenden Ziele.
Im Ringen um die beste Lösung, im Vermitteln komplexer Zusammenhänge und mühsamer Entscheidungsprozesse, ist der aufrechte Diskurs aus meiner Sicht immer noch der richtige Ansatz, der sehr mühevoll ist. Anton Maegerle wird vielleicht sagen:
„Ich habe so viel gesehen, ich habe in so viele Abgründe geschaut. Es gibt einfach Menschen, die wollen nicht mehr reden. Die wollen nicht überzeugt werden. Die wollen hassen. Und die wollen auch töten.“ Ja, diese Menschen gibt es.
Und auch deswegen bin ich Menschen wie Anton Maegerle so unendlich dankbar, dass sie darauf hinweisen, wo die Grenzen eines jeden demokratischen Diskurses gesprengt werden. Wir müssen leider feststellen, die extreme Rechte hat an einem anständigen und konstruktiven Diskurs auch gar kein Interesse. Ihr Ziel ist es, unsere Gesellschaft zu spalten, und wenn es sein muss, auch mit Gewalt. Ich bin sehr froh darüber, dass es bei den Sicherheitsbehörden mittlerweile Konsens ist, dass der Rechtsextremismus die größte Gefahr für unsere Demokratie ist.
Dankbar bin ich aber und vor allem auch der Mehrheit unserer Gesellschaft, die für Diskurs und sachliche Auseinandersetzung ansprechbar ist. Menschen, die mit ihren Sorgen und Ängsten ernstgenommen werden möchten, aber nicht den Staat und seine Organe per se in Frage stellen. Eine Mehrheit, die stark ist, die mutig ist. Die vielleicht auch gerade in der Krise sagt: „Jetzt erst recht! Dieser Staat, auf dem Boden unseres wunderbaren Grundgesetzes, dieser Staat braucht mich, mein Engagement, meine konstruktive Kritik. Und auch meine Zuversicht, diese schwierigen Zeiten der Transformation mitzugestalten.“ Lassen Sie uns alles tun, diese – bisher vielleicht zu schweigsame – Mehrheit zu sehen und zu stärken.
Meine Damen und Herren,
ich bin überzeugt, dass wir echten politischen Diskurs brauchen. Hart in der Sache, aber anständig und respektvoll. Den politischen Rahmen für jede Form der demokratischen Auseinandersetzung bildet das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland. Wer diesen Rahmen missachtet, missachtet unsere Verfassung und gefährdet ein friedliches Zusammenleben in unserem Staat! Wer das Vokabular des Populismus nutzt, wird von diesem verschlungen und auf dem Boden der Demagogie wieder ausgespuckt. Wer das Vokabular des Populismus nutzt, nutzt am Ende nur den Populisten selbst. Wenn Sprache verroht, verroht auch das Handeln. Es ist daher unser aller Aufgabe, den Rahmen des Grundgesetzes zu wahren und zu verteidigen. In dieser Verantwortung steht jeder und jede von uns. Die Preisträgerin und der Preisträger der Oppenheimer-Auszeichnung des Landes Baden-Württemberg machen dies in herausragender und bewundernswerter Weise.
Liebe Frau Professorin Feinberg, lieber Herr Maegerle,
ich danke Ihnen beiden von Herzen für Ihren großen und unermüdlichen Einsatz für unsere Demokratie und die unantastbare Würde des Menschen. Ihnen und uns allen wünsche ich ein süßes, gutes und gesundes Jahr 5784. Mögen Sie alle für ein erfolgreiches Jahr eingeschrieben werden!