16. April 2020

Interview mit Peter Reinhardt im Mannheimer Morgen

Pandemie: Landtagspräsidentin Aras plädiert für Diäten-Nullrunde wegen Corona-Krise / Parlament tagt mit Sicherheitsabständen

„Wir können ein Zeichen setzen“

Von Peter Reinhardt

Frau Aras, die Parlamente stehen in der Corona-Krise am Rande der Krisenpolitik. Wie sehr schmerzt Sie diese Zuschauerrolle?

Muhterem Aras: Wir haben sehr rasch am 19. März eine Sondersitzung des Plenums einberufen und 6,2 Milliarden Euro für die Bewältigung der Corona-Pandemie in Baden-Württemberg freigegeben. Damit hat das Parlament die Regierung in die Lage versetzt, zu handeln. Diesen Rahmen nutzt die Regierung für die Hilfen und tut damit genau das, was wir ihr aufgegeben haben. Ich weiß durch meinen Beruf als Steuerberaterin, dass diese Unterstützung tatsächlich wirkt. Die Leute sind überrascht, wie schnell es ging. Ich habe deshalb keine Schmerzen. Ich bin sogar stolz, dass unsere Demokratie krisenfest ist und schnell handelt. Es liegt in der Natur der Sache, dass sich in solchen Zeiten der Blick der Öffentlichkeit zunächst auf die Exekutive richtet. Da kann man nicht tagelang über einzelne Programmpunkte debattieren.

Sehen Sie das Parlament durch die Regierung ausreichend eingebunden?

Aras: Man kann natürlich immer mehr wollen. Aber grundsätzlich sind wir ausreichend informiert. Die Abgeordneten kontrollieren den Einsatz der Gelder in öffentlichen Ausschusssitzungen, die wir wegen der Kontaktbeschränkungen als Videokonferenzen abgehalten haben. An diesem Mittwoch habe ich zu einer Sondersitzung des Präsidiums eingeladen, um aus erster Hand über die Maßnahmen informiert zu werden, die zuvor von der Kanzlerin und den Ministerpräsidenten beschlossen wurden. Das zeigt, dass wir gut eingebunden sind und unsere Rechte nutzen. Die Abgeordneten sind gerade stärker als Vermittler gefragt, die Bürgerinnen und Bürgern und Unternehmen mit Rat und Tat zur Seite stehen. Das gehört genauso zu unseren Kernaufgaben. Wo wir Bedarf sehen, fordern wir auch zusätzliche Informationen.

Ist das schon vorgekommen?

Aras: Die Präsidiumssitzung ist genau so ein Fall. Da hat uns der Sozialminister berichtet. Es gab auch Sondersitzungen mehrerer Ausschüsse.

Fürchten Sie eine weitere Machtverschiebung zur Exekutive, wenn die sieht, wie einfach man mit Verordnungen regieren kann?

Aras: Nein. Das Parlament ist selbstbewusst genug, um das zu verhindern. Gerade der Umgang mit der Corona-Pandemie zeigt den Unterschied zwischen einer stabilen Demokratie und autokratischen Staaten wie Ungarn oder der Türkei. Dort nutzen die Machthaber die Krise, um ihre Macht weiter auszubauen und die Gewaltenteilung auszuhebeln. Das macht mir Sorgen. Bei uns lassen sich die Entscheidungsträger ganz überwiegend von wissenschaftlichen Erkenntnissen leiten. Nach der Krise werden wir uns damit auseinandersetzen und auch streiten, wie wir die sozialen und wirtschaftlichen Folgen dieser Pandemie bewältigen und welche Lehren wir daraus ziehen. Diese Debatten werden im Parlament stattfinden.

Wie könnte für den Landtag eine Rückkehr zu regulären Sitzungen aussehen?

Aras: Ich muss betonen, dass unsere Sitzungen nicht ausgesetzt sind. Wir haben letztlich eine einzige Sitzung abgesagt. Die nächste Plenarsitzung ist für den 29. April angesetzt und wird unter der Berücksichtigung der Verhaltensregeln des Robert-Koch-Instituts auch stattfinden. Genau wie die Termine im Mai. Das Parlament war zu jeder Zeit arbeits- und handlungsfähig. Es fällt auch kein Thema unten durch.

Der Bundestag diskutiert, ob man für Krisenfälle virtuelle Sitzungen möglich machen soll. Ist das für den Landtag ein gangbarer Weg?

Aras: Wir müssen nach der Krise auch unseren Umgang mit der Digitalisierung überprüfen und Lehren ziehen. Bei uns sind Ausschusssitzungen schon heute digital per Videokonferenz möglich. Da ist der Landtag von Baden-Württemberg an vorderster Stelle. Wir haben viele Anfragen aus anderen Ländern bekommen, wie wir das machen. Aber Plenarsitzungen sind nicht so einfach digital machbar, schon wegen der Größe. Da müssen wir prüfen, wie wir diesen größeren Rahmen bewältigen könnten – auch was Sicherheitsaspekte betrifft.

Müsste die Verfassung geändert werden?

Aras: Da sind sich die Juristen nicht einig. Es wäre auf jeden Fall technisch nicht leicht. Wir haben aber jetzt schon Regelungen, wie der Landtag im schlimmsten Fall trotzdem zusammenkommen kann. Die Abgeordneten diskutieren angesichts der Kurzarbeit von Millionen Arbeitnehmern eine Nullrunde.

Wie sehen Sie den Verzicht auf eine Diätenerhöhung?

Aras: Ich persönlich finde die Idee gut. Damit können wir ein Zeichen setzen. Die Gehälter der Abgeordneten sind bei uns gekoppelt an die Entwicklung der Löhne und Gehälter des Vorjahres. Grundlage der Erhöhung in diesem Jahr sind also die Einkommen des Jahres 2019. Da wäre sicher eine Erhöhung herausgekommen. Will man davon abweichen, muss man das Abgeordnetengesetz ändern.

Würde der Mechanismus die Abgeordneten 2021 nochmal treffen, wenn in diesem Jahr die Lohnsumme sinkt?

Aras: Die Abgeordneten sind Teil der Gesellschaft und spiegeln diese wider. Dann geht es uns halt so.