03. Januar 2023

Interview mit Roland Muschel in der Südwestpresse

Frau Aras, wie sicher fühlen Sie sich im Parlament?
Muhterem Aras: Ich persönlich fühle mich im Parlament sicher – und ich hoffe, dass es allen Abgeordneten genauso geht.

Die Frage zielt auf vereitelte Pläne sogenannter Reichsbürger, gewaltsam in den Bundestag einzudringen und einen Staatsstreich auszuüben. Eine Verdächtige ist Ex-Bundestagsabgeordnete der AfD, einige der Festgenommenen sind aus Baden-Württemberg, auf einer ominösen Feindesliste stehen auch Abgeordnete des Stuttgarter Landtags.
Muhterem Aras: Wir nehmen die Vorkommnisse sehr ernst, das ist brandgefährlich. Diese Leute haben einen Staatsstreich geplant. Unter ihnen sind Personen mit einer militärischen Ausbildung oder Zugang zu Waffen – also letztlich Profis, die wissen, wie man Anschläge plant und ausführt. Allein diese Szenarien können Angst einjagen und Menschen einschüchtern, das ist Gift für die Demokratie.

Muss der Landtag reagieren?
Muhterem Aras: Wir haben in der vergangenen Legislaturperiode die Sicherheitsvorkehrungen verschärft. Im Gegensatz zum Bundestag hatten bei uns schon bislang ehemalige Abgeordnete keinen Zugang mehr mit ihrem alten Abgeordnetenausweis. Unabhängig von den aktuellen Vorkommnissen sind wir mit den Sicherheitsbehörden in ständigem Austausch: Müssen wir nachjustieren, technisch aufrüsten? Im Moment lautet die Antwort: nein.

Es gibt Verbindungen der Reichsbürgerszene mit der AfD, die Teil des Parlaments ist. Wie gehen Sie als Präsidentin damit um?
Muhterem Aras: Die AfD steht ja teilweise unter Beobachtung der Sicherheitsbehörden. Es ist ihre Aufgabe zu entscheiden, was möglicherweise getan werden muss. Als Landtagspräsidentin vertrete ich erstmal alle fünf Fraktionen. Ich schreite nur ein, wenn eine rote Linie überschritten wird. Das musste ich in der vergangenen Legislaturperiode sehr oft tun, da einzelne Abgeordnete das strategische Ziel hatten, den Parlamentsbetrieb bewusst zu sabotieren und ins Lächerliche zu ziehen.

Sie haben einzelne Abgeordnete von Sitzungen ausgeschlossen und teils sogar von der Polizei aus dem Plenarsaal eskortieren lassen.
Muhterem Aras: Wir haben gezeigt, dass wir eine wehrhafte Demokratie sind und Mittel haben, auch gegen Abgeordnete vorzugehen, die das demokratische System sabotieren wollen. Ich bin froh, dass das in der laufenden Legislaturperiode bislang nicht notwendig war.

Im Januar wählt die AfD einen neuen Fraktionsvorsitzenden. Kandidieren will auch Emil Sänze, der Ihnen aufgrund Ihres Migrationshintergrunds in der Vergangenheit das Recht abgesprochen hat, sich öffentlich zum Holocaust zu äußern. Haben Sie Angst, dass sich die Tonalität wieder verschärft?
Muhterem Aras: Angst habe ich gar keine. Die AfD entscheidet, wer ihrer Fraktion vorsitzen soll. Ich warte erstmal ab und hoffe, dass die rote Linie nicht wieder überschritten wird. Im Parlament, der Herzkammer der Demokratie, sollte man sich politisch auseinandersetzen und um den besten Weg ringen, durchaus kontrovers und auch mal zugespitzt. Beleidigend oder rassistisch darf es aber nicht werden.

Wir leben in einer Zeit multipler Krisen. Schwächt das die Demokratie?
Muhterem Aras: Wir wissen aus den Mitte-Studien der Uni Leipzig, dass es eine nennenswerte Anzahl an Menschen gibt, die sich eher autoritäre Regime wünschen und die Demokratie verachten. Diese Strömungen sind in der Pandemie, als wir uns alle mit massiven Einschränkungen auseinandersetzen mussten, möglicherweise stärker geworden. Umso wichtiger ist es, dass wir für die parlamentarische Demokratie werben, dass wir zuhören, abwägen und auch die Auseinandersetzung suchen. Das ist die Aufgabe aller Abgeordneter und auch von mir als Parlamentspräsidentin.

Derzeit hat der Landtag eine Mindestgröße von 120 Abgeordneten. Kritiker fürchten, dass es aufgrund der jüngsten, von Grünen, CDU und SPD beschlossenen Wahlrechtsreform künftig mehr als 200 Abgeordnete geben könnte. Ist so ein Aufwuchs vermittelbar?
Muhterem Aras: Erst einmal: Ziel dieser Wahlrechtsreform ist es, dass der Landtag weiblicher, jünger und diverser wird. Das ist überfällig, das darf man nicht kleinreden! Bis Ende der 1990er Jahre lag der Frauenanteil im baden-württembergischen Landtag unter 10 Prozent. Aktuell sind wir knapp unter 30 Prozent, im Bundesländervergleich sind wir damit immer noch eher Schlusslicht als Mittelfeld.

Und dieses Ziel würde auch einen XXL-Landtag rechtfertigen?
Muhterem Aras: Ob die Einführung des Zweistimmenwahlrechts zu einer Vergrößerung des Landtags führen wird, wissen wir nicht. Das sind reine Spekulationen. In Mecklenburg-Vorpommern oder Rheinland-Pfalz war es nicht so.

Die FDP schlägt vor, die Zahl der Wahlkreise von 70 auf 38 zu reduzieren, ohne das neue Zweistimmenwahlreicht anzugreifen. Der Landtag könnte dann auch weiblicher und jünger werden – und die Zahl der Abgeordneten bliebe überschaubar. Was spricht dagegen?
Muhterem Aras: Unser Ziel muss doch Bürgernähe sein. Bei der ersten Landtagswahl 1952 hat jeder Abgeordnete rechnerisch rund 95 000 Menschen vertreten, aktuell vertritt jeder rund 160 000 Menschen. Wenn wir den FDP-Vorschlag umsetzen würden, wären es 300 000 Menschen. Da wäre Bürgernähe nicht mehr machbar. Im Übrigen sehen wir doch, dass weltweit eher demokratiefeindliche Kräfte zulegen. Da muss uns unsere Demokratie auch etwas wert sein.

Kann man 2022 mit 1952 vergleichen? Heute können Abgeordnete dank digitaler Möglichkeiten doch viel schneller agieren und viel mehr Menschen erreichen.
Muhterem Aras: Die digitalen Medien sind Fluch und Segen zugleich. Sie bringen ja auch eine Taktung rein, die es 1952 nicht gab. Wir sind schneller dank der digitalen Möglichkeiten, aber es wird auch erwartet, dass wir schneller liefern. Wir sollen alle Kanäle möglichst gleichzeitig bedienen und trotzdem inhaltlich arbeiten und uns um die Belange der Bürgerinnen und Bürger im Wahlkreis kümmern. Nicht zu vergessen: In einer Zeit, in der Demokratiefeinde versuchen, den Parlamentarismus ins Lächerliche zu ziehen, müssen wir auch als Verteidiger der Demokratie präsent sein.

Es werden bereits Unterschriften gesammelt, um die Wahlrechtsreform zu kippen. Sorgt es Sie, dass möglicherweise per Volksentscheid über die Größe des Parlaments entschieden wird?
Muhterem Aras: Ich bin froh, dass wir die Wahlrechtsreform beschlossen haben. Dass darüber diskutiert wird, gehört zur Demokratie. Alles andere müssen wir abwarten.

Kann man als Politiker eigentlich noch auf Twitter präsent sein?
Muhterem Aras: Elon Musk ist als Chef von Twitter eine Katastrophe. Ich stelle mir ernsthaft die Frage, ob ich unter diesen Umständen noch auf Twitter aktiv sein will. Ich habe noch keine endgültige Antwort, aber es wird immer schwieriger, die Twitter-Äußerungen von Musk zu akzeptieren.