14. Februar 2025

Neujahrsempfang der Europaverbände

Landtagspräsidentin Muhterem Aras am Rednerpult

Liebe Freundinnen und Freunde der Demokratie und eines vereinten Europas,

es sind stürmische Zeiten: Donald Trump verhandelt am Telefon mit Wladimir Putin über die Ukraine. Viktor Orban hofiert Alice Weidel in Ungarn, die ihn wiederum als Vorbild preist. In Österreich wird womöglich doch nicht ein Rechtsextremist der nächste Kanzler. Und das sind nur die Nachrichten von Mittwoch! 

Das Jahr 2025 fühlt sich jetzt schon an wie ein politischer Schleudergang. Die Meldungen überschlagen sich: oftmals dystopisch, häufig grotesk, aber manchmal auch hoffnungsvoll. Aber gerade in diesem Orkan von Meldungen ist es geboten, sich miteinander zu vernetzen und sich miteinander in Ruhe der Frage zu widmen, was Europa jetzt braucht. Dafür sind Sie hier und dazu heiße ich Sie herzlich willkommen im Landtag von Baden-Württemberg.

Dieses noch sehr junge Jahr hält für uns Europäerinnen und Europäer eine gute und eine schlechte Botschaft bereit. Die gute zuerst: Europäische Zusammenarbeit ist wichtiger denn je. Und jetzt die schlechte: Europäische Zusammenarbeit ist wichtiger denn je. Sie gewinnt deshalb an Notwendigkeit, weil die USA in schwindelerregendem Tempo ins Autokratische stürzen, in den Händen eines unberechenbaren Machthabers, der umringt ist von Oligarchen und Opportunisten. 

Die Entfremdung zwischen den USA und Europa beschleunigt sich. Das stellt auch eine Studie der Denkfabrik ECFR fest. Einer der Autoren der Studie spricht sogar davon, dass die „Totenglocke für das transatlantische Bündnis“ läute. Denn die meisten Befragten sehen die USA nicht länger als einen Verbündeten, der europäische Werte oder Interessen teilt, sondern als notwendigen Partner. 

Nicht nur das transatlantische Bündnis, sondern auch die territoriale Unversehrtheit weltweit steht in Frage: wenn sich Wladimir Putin – voraussichtlich mit Erfolg – ukrainische Gebiete gewaltsam einverleibt; wenn Xi Jinping Taiwan bedroht; wenn Donald Trump offenbar selbst neo-imperialistische Gedanken hegt; wenn er plant, seinen Machtbereich auszudehnen, vom Nordpolarmeer bis zum Panama-Kanal; wenn er buchstäblich Landkarten ändern lässt und Gebiete umbenennt.

Zwischen diesen drei Regimen ist Europa eingekeilt. Während Russland uns längst angreift, während es sabotiert, spioniert, manipuliert und desinformiert, während es Europafeinde auf dem ganzen Kontinent stärkt und sich massiv in Wahlen einmischt – bei Mitgliedstaaten und jenen, die es werden wollen –, währenddessen ist auf den wichtigsten NATO-Partner kaum noch Verlass. Keine leichte Zeit für Optimisten. Und es ist ein Alarmsignal. 

Zu lange haben wir Putin keine Invasion zugetraut, obwohl die baltischen Staaten eindringlich warnten. Zu lange haben wir China nur als billigen Produktionsstandort und Abnehmer  verstanden und nicht als starken Konkurrenten. Und zu lange haben wir gewusst, dass wir uns nicht ewig auf die USA verlassen können. Jetzt haben wir eine neue geopolitische Ordnung. Dies ist die Stunde der Wahrheit, in der wir endlich begreifen müssen: Europäische Zusammenarbeit ist wichtiger denn je! Nicht obwohl, sondern gerade weil sich nun auch hier in Europa die autokratischen Kräfte bestätigt sehen. 

Wir haben zum Jahreswechsel auch einen bemerkenswerten Wechsel im EU-Ratsvorsitz vollzogen: von Viktor Orbans Ungarn hin zu Polen unter Donald Tusk. Also von einer Art Lehrbuch-Autokratie hin zu einem Land, das sich die Demokratie wieder erkämpft. Wir sehen zwar auch in Polen, wie mühsam und langwierig es ist, den autokratischen Eingriff in die Gerichte, in die Medien, in die Zivilgesellschaft rückgängig zu machen. Aber allein dieser Prozess, diese Stoßrichtung, diese Wehrhaftigkeit macht Mut. 

Und wir beobachten auch bei den Demokratiefeinden zumindest kleine Rückschläge: Ein Herbert Kickl gelangt vorerst wohl doch nicht an die Macht, weil sein Machthunger bereits in den Verhandlungen zu groß war. Und selbst ein Viktor Orban sitzt nun zwischen den Stühlen von Putin und Trump. Durch Orbans Nähe zu Russland scheint er nicht so sehr von den USA zu profitieren wie er es erhofft. Und gleichzeitig will er die EU nicht verlassen, weil er auf Subventionen angewiesen ist. 

Ja, die Entwicklungen der letzten Jahre lassen viele Menschen verzweifeln. Und sie wecken bei manch einem Zweifel daran, dass Europa Bestand hat, dass Demokratien eine Zukunft haben, wo sie doch überall bröckeln und weltweit auf dem Rückgang sind. Aber eines gilt es sich in Erinnerung zu rufen: Die Demokratie ist allemal stabiler als die Autokratie! 

Damit meine ich nicht die sogenannte „illiberale Demokratie“. Das ist ein Scheinbegriff, eine Verschleierung, ein Widerspruch in sich. Schließlich kann eine Demokratie gar nicht illiberal sein. Sie wird ja nicht nur dadurch zur Demokratie, dass Scheinwahlen stattfinden oder ausgehöhlte Parlamente bestehen bleiben. 

Sondern sie wird durch das zur Demokratie, was die Xi Jinpings, Putins und Orbans mehr fürchten als alles andere in der Welt: Rechtsstaatlichkeit. Gleichheit. Und eine freie, offene Gesellschaft. Demokratie und Freiheit gehören untrennbar zusammen! 

Eine große Lüge der Demokratiefeinde ist die Überlegenheit der Autokratie; die Behauptung, dass ein starker Führer einfach durchgreifen kann und dadurch alles in Ordnung bringt. Natürlich ist es mühsam in einer Demokratie. Natürlich ist es anstrengend, wenn möglichst alle teilhaben und um die besten Lösungen ringen – in einem Staatenverbund wie der EU erst recht. Und manchmal ist es verdammt zäh. Aber es lohnt sich für alle! 

Die Universität Göteborg hat einige Vorteile festgestellt im Vergleich von Demokratien zu Autokratien. In Demokratien gibt es weniger Korruption und eine bessere Bereitstellung öffentlicher Güter, vom Wasser bis zum Internetanschluss. In Demokratien ist das Bildungsniveau höher; sie geben mehr Geld für Bildung aus, sodass zum Beispiel auch ärmere Familien davon profitieren. Demokratien weisen ein höheres und stabileres Wirtschaftswachstum auf – weil sie länger bestehen. In Demokratien ist die Gleichstellung der Geschlechter weiter vorangeschritten. Auch die soziale Absicherung und der soziale Zusammenhalt sind besser. Demokratien erhöhen die Lebenserwartung mit einer besseren Gesundheitsversorgung. Demokratische Länder führen keine Kriege gegeneinander und erleben seltener Bürgerkriege. All diese Ergebnisse zeigen: Autokraten haben nichts zu bieten! Nur leere Worte und Kraftmeierei. 

Sehr geehrte Damen und Herren, wir können dankbar sein, in einer Demokratie zu leben!

Und für diese Staatsform steht Europa. Die meisten der freiheitlichsten, friedlichsten und wohlhabendsten Staaten der Welt liegen hier. Und darin liegt eine große Kraft. Ein wirklich vereintes Europa hat nicht nur eine enorme wirtschaftliche Power, sondern einen Systemvorteil! Europa ist der Beweis, dass Kooperation mehr Gewinner kennt als Konfrontation, der Beweis, dass der Kompromiss nachhaltiger ist als Rücksichtslosigkeit. 

Das Gebot der Stunde lautet also, jetzt erst recht europäische Flagge zu bekennen, jetzt erst recht die Werte hochzuhalten, die Europa so lebenswert machen. Der Aufschwung der Autokraten darf uns nicht dazu verleiten, ihren Sound zu imitieren; darf uns nicht dazu verführen, ihren Stil zu übernehmen. Wir dürfen uns nicht darin überbieten, wer das EU-Recht am wenigsten umsetzt, wer die Nachbarn am meisten im Alleingang verprellt oder wer die größten Mauern hochzieht. Sondern wir müssen sagen: Stehen wir mehr denn je zusammen!

Russlands Invasion der Ukraine hat die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik der EU mehr gestärkt, als es lange denkbar war. Und auf ähnliche Weise müssen wir uns nun erneut selbst übertreffen – mehr als es denkbar war – in dieser neuen Weltordnung.

Jetzt erst recht muss sich Europa als Handelsmacht beweisen. Jetzt erst recht muss Europa am Green New Deal festhalten und zukunftsgewandt wirtschaften.

Jetzt erst recht muss Europa Entwicklungshilfe leisten und Freihandel betreiben, um neue Partner zu gewinnen. Jetzt erst recht muss Europa eigene KI-Forschung betreiben und eigene Medienplattformen schaffen, die Hassrede und Wahrheitsverzerrung verbieten. Der Vorstoß auf dem KI-Gipfel in Paris diese Woche war ein erster Schritt. Und ja, jetzt erst recht muss Europa militärisch auf eigenen Beinen stehen.

Es werden noch viele weitere Schritte notwendig sein. Gemeinsame Schritte. Allein dieser Weg hin zu mehr Europa ist der richtige Weg.

Meine Damen und Herren, die Idee der Europäischen Zusammenarbeit im Allgemeinen und die Idee der Europäischen Union im Besonderen, das ist und bleibt eine der besten Ideen der Menschheitsgeschichte. Wir verdanken ihr unermesslich viel Lebensqualität. Und sie kann uns mehr denn je leiten in dieser stürmischen Zeit. Ich möchte Ihnen allen danken, dass Sie sich einsetzen für diese wunderbare Idee, dass Sie sie weitertragen und stärken. 

Tun wir alles dafür, die europäische Idee in die Zukunft zu tragen: durch den Orkan an schlechten Nachrichten hindurch, am Scheideweg der Geschichte entlang, inmitten geopolitischer Verschiebungen. Weisen wir die Europafeinde in die Schranken, bei der Bundestagswahl und darüber hinaus. Und gewinnen wir neue Mitstreiterinnen und Mitstreiter, damit der Funke der Begeisterung für Europa, damit der Funke der Hoffnung immer wieder überspringt und ein Feuer entfacht: ein europäisches Leuchtfeuer der Demokratie!