30. Mai 2023

Porträt von Markus Grabitz in Europe.Table

Europe.Table 30. Mai 2023

Markus Grabitz

 

Muhterem Aras: Ranghöchste Deutsche im Ausschuss der Regionen (AdR)

Muhterem Aras (Grüne) ist Präsidentin des Landtags von Baden-Württemberg und Mitglied im Ausschuss der Regionen (AdR).

Die Geschichte mit dem Visum liegt fast 40 Jahre zurück. Es war in den 80ern, die heutige Präsidentin des Landtags von Baden-Württemberg besuchte die Schule. Ein Ausflug nach Straßburg stand an. Als Schülerin mit einem türkischen Pass brauchte sie für die Einreise nach Frankreich ein Visum. Ihr Vater, der als Arbeiter bei Thyssen beschäftigt war, musste sich einen Tag freinehmen und auf das Konsulat gehen, damit sie mitfahren konnte. Aras wurde 1966 in einem Dorf in Ostanatolien geboren. Als sie zwölf war, holte ihr Vater die Familie nach Deutschland. Ihre Jugend verbrachte die heutige Grünen-Politikerin in einem kleinen Dorf oberhalb von Stuttgart. Aras hat die Sache mit dem Visum nicht vergessen. "Ich möchte als überparteiliche Vertreterin des Landtags ins Bewusstsein der Menschen rufen, dass die vier Grundfreiheiten der EU keine Selbstverständlichkeit sind, sondern etwas sehr Wertvolles."

Deutsche Delegation zählt 24 Mitglieder

Aras hob den Finger, als den Grünen im Südwesten die Besetzung eines zweiten ständigen Sitzes im Ausschuss der Regionen (AdR) zustand. Das Gremium ist nicht direkt beteiligt an der EU-Gesetzgebung. Es darf aber Stellungnahmen abgeben bei Gesetzgebungsvorhaben, wenn die Belange von Kommunen und Regionen berührt sind. Aras ist als Landtagspräsidentin das ranghöchste Mitglied in der 24-köpfigen deutschen AdR-Delegation. Mit Florian Hassler (Grüne), Europa-Staatssekretär von Ministerpräsident Winfried Kretschmann, sind die Südwestgrünen so prominent in dem AdR vertreten wie keine andere politische Kraft aus Deutschland. 

Aras hat sich hochgekämpft. Von der Hauptschule ging ihr Weg über das Abitur und ein Studium, für das sie einen Kredit aufnehmen musste, bis zu einer eigenen Steuerberatungskanzlei mit einer zweistelligen Zahl an Mitarbeitenden. Weil ihre Eltern ihr seinerzeit nicht erlaubten, mit ihrem Freund zusammen zu sein, hat Aras noch als Schülerin ihren heutigen Mann geheiratet. Die beiden haben zwei Kinder.

1999 ist Aras für die Grünen in die Kommunalpolitik eingestiegen, 2011 wurde sie erstmals in den Landtag gewählt, 2016 und 2021 wiedergewählt. Als erste Frau und Muslima aus einer alevitischen Familie hat Aras seit 2016 das zweithöchste Staatsamt in Baden-Württemberg inne.

Stellungnahme zum Notfallinstrument SMEI 

Ihr Amt für Europa nimmt sie ernst. Sie hat jede Plenarsitzung der Zukunftskonferenz mitgemacht und dafür gekämpft, dass der AdR, dem ursprünglich nur 18 Sitze im Plenum der Zukunftskonferenz zustanden, schließlich 30 Sitze bekam. "Wenn ich nicht gerade Sitzungswoche im Landtag habe, verpasse ich keine Plenartagung des AdR", berichtet die Politikerin in ihrem Büro im Suttgarter Landtag.

Aras hat die Stellungnahme des AdR zum Notfallinstrument (SMEI) erarbeitet, mit dem die Kommission Konsequenzen aus der Pandemie ziehen will. Damals brach der Binnenmarkt zeitweise zusammen, weil die Mitgliedstaaten nationale Grenzen geschlossen hatten. Die Politikerin hat sich nicht davon beirren lassen, dass der Text keine rechtlich bindende Wirkung hat. Umso mehr habe sie sich gefreut, dass nicht nur der AdR ihre Stellungnahme einstimmig verabschiedet habe, sondern dass sie für ihren Bericht Unterstützung bekommen habe sowohl vom Berichterstatter des Europaparlaments, Andreas Schwab (CDU), als auch von den Schattenberichterstattern Anna Cavazzini (Grüne) und René Repasi (SPD).

Regionen sollen mehr als Beobachter sein

Aras kritisiert am Vorschlag der Kommission denn auch, dass er zu sehr auf die Befugnisse der Kommission zugeschnitten sei: "Ich würde es gern sehen, wenn dem Europaparlament und der regionalen Ebene im Zuge des Notfallinstruments mehr als nur Beobachterstatus eingeräumt würde." Sie bemängelt: "Aktuell würden die Maßnahmen des Notfallinstruments ins Leere laufen, weil Mitgleidstaaten weiterhin scharfe Grenzkontrollen einführen könnten." Die Grünen-Politikerin macht kein Hehl daraus, dass sie sich von der Bundesregierung, in der die Grünen Schlüsselpositionen der Europapolitik besetzen, mehr Engagement für Europa erwartet hätte: "Ich wünsche mir eine stärkere Poritionierung etwa für die Einberufung des Konvents, so wie das im Koalitionsvertrag vorgesehen ist."

Sie weiß natürlich, dass die Bundesländer über den Bundesrat eingebunden sind in die EU-Gesetzgebung und dass es schwer ist, den Regionen mehr Einfluss auf die Gesetzgebungsarbeit einzuräumen. Dennoch sagt sie: "Die Länderparlamente haben eine wichtige Brückenfunktion. ich würde mir daher wünschen, wenn die Stimme des AdR stärker berücksichtigt würde." Der AdR etwa müsse sich enger mit dem Europaparlament abstimmen.

Aras ist bis 2026 gewählt. So manchen Grünen hat es zu einem fortgeschrittenen Punkt der Karriere nach Europa gezogen. Ob sie sich einen Wechsel nach Brüssel vorstellen könnte? "Ich bin mit meiner jetzigen Position sehr zufrieden", sagt sie und lächelt.