Rede der Präsidentin zur Veranstaltung "Von der Vision zur Teilhabe: 25 Jahre LAKA BW"

„Ausländer mischen sich jetzt ein!“
So lautete 1998 eine Schlagzeile zur neugegründeten „Landesarbeitsgemeinschaft der Kommunalen Ausländervertretungen Baden-Württemberg“, LAKA. Diese Schlagzeile zeigt, wie sich Zeitgeist und Sound der vergangenen Jahrzehnte geändert haben.
Dass dem so ist, und dass wir solche Schlagzeilen zum Glück nicht mehr lesen müssen, allein schon, weil Migrantinnen und Migranten viel selbstverständlicher mitmischen, das ist auch ein Verdienst jenes Verbands, den wir heute Abend feiern.
Über 300 Menschen sind hier, um den Landesverband der kommunalen Migrantenvertretung zu würdigen. Und mir war es ein großes Anliegen, sein 25-jähriges Jubiläum hier zu feiern, im Herzen der Demokratie.
Meine Damen und Herren, liebe Gäste, guten Abend und herzlich willkommen im Landtag von Baden-Württemberg! Danke, dass Sie so zahlreich gekommen sind! Vor allem möchte ich die Menschen willkommen heißen, die den heutigen Abend mitgestalten. Als der neugegründete LAKA das erste Mal Schlagzeilen machte, waren Sie, lieber Herr Iervolino, einer der Mitgründer und erster Vorsitzender. Wir dürfen gespannt sein auf Ihre Erzählung von 25 Jahren LAKA, von der Vision zur Teilhabe, und womöglich auch von der Teilhabe zur Vision, schön, dass Sie da sind! Und stellvertretend vielen Dank an den gesamten Vorstand von LAKA, für die Zusammenarbeit an dieser Veranstaltung, nicht zuletzt an Sie als Geschäftsführerin, liebe Frau Paraschaki-Schauer, dass Sie uns heute mit durch den Abend führen.
Sie, sehr geehrter, Herr Broß, werden als geschäftsführendes Vorstandsmitglied des Städtetags von Baden-Württemberg heute Abend die Sicht der Kommunen einbringen. Herzlichen Dank!
Sehr gerne begrüßt hätte ich an dieser Stelle Herrn Professor Aladin El-Mafaalani als Impulsgeber des heutigen Abends. Er musste heute aus gesundheitlichen Gründen absagen, sodass wir leider auf seine Worte verzichten müssen. Wir wünschen ihm von hier aus alles Gute und hoffen, ihn zu einem anderen Zeitpunkt im Landtag begrüßen zu dürfen. Wir haben das Programm kurzfristig umgestellt und um ein Podiumsgespräch erweitert.
Ein riesiges Dankeschön an Sie liebe Frau Koktsidou, dass Sie diese Runde so spontan moderieren! Als versierte Moderatorin und Beauftragte für Vielfalt und Integration des SWR sind Sie die Idealbesetzung zu dem Thema des heutigen Abends. Tausend Dank! Und nicht zuletzt geht ein großer Dank für die künstlerische Umrahmung dieses Abends an die Sprechkünstlerin Judith Quast und an die Band Rószák!
Liebe Gäste, auf Ihren Plätzen haben Sie den größten Schatz vorgefunden, den wir in diesem Land haben, das Grundgesetz. Die Geburtsurkunde unserer Bundesrepublik. Sie ist dieses Jahr 75 Jahre alt geworden. Das Grundgesetz ist der Maßstab für Integration. Es benennt die Spielregeln unseres Miteinanders. Spielregeln, die sowohl für Migrantinnen und Migranten gelten als auch für die Mehrheitsgesellschaft. Das Grundgesetz steht für Gleichheitsrechte und das Diskriminierungsverbot: „Niemand darf wegen seiner Abstammung, […] seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens […] benachteiligt werden.“ Es steht für das Grundrecht auf Asyl, das unter viel Kritik mehrfach geändert wurde. Vor allem aber steht es für die Erfolgsgeschichte unserer Demokratie. Und das ist auch die Geschichte von Zuwanderung. Vertreibung und Flucht gehörten zur Geburtsstunde dieser Republik. Aber auch die Hoffnung, sich ein besseres Leben aufzubauen. Diese Hoffnung teilten die deutschen Staatsbürger mit denen, die deutsche Staatsbürger werden wollten. Und das sogenannte „Wirtschaftswunder“ wäre nicht möglich gewesen ohne die sogenannten „Gastarbeiterinnen und Gastarbeiter“. Menschen, die in anderen Ländern verwurzelt waren, haben dieses verwüstete Land mit zum Blühen gebracht. Das gilt insbesondere in Bundesländern wie Baden-Württemberg mit ihrer starken Industrie.
Das ist die Geschichte meiner Eltern, und sicher die Geschichte vieler Familien von Ihnen hier im Saal. Geschichten von Mut und Mühe, von Tüchtigkeit und Tapferkeit derjenigen Menschen, die sich in Deutschland ein neues Leben aufgebaut haben, die zerrissen waren zwischen der alten und der neuen Heimat. Denen man nie den roten Teppich ausrollte, die Deutschland bereichert haben mit ihrer Kultur, ihren Fragen, ihren Antworten und ihrer Produktivität, sofern sie einer Erwerbsarbeit nachgehen durften. Es ist die Geschichte vieler sogenannten Gastarbeiterinnen und Gastarbeiter. Und Arbeit bestimmte ihr Leben. Ich finde, diese enorme Leistung gehört kollektiv erinnert und gewürdigt.
Statt Anerkennung gehörte aber Geringschätzung zum Sound der Republik. Bundeskanzler Helmut Schmidt sagte 1982: „Mir kommt kein Türke mehr über die Grenze.“ Später sprach er davon, dass Demokratie und eine multikulturelle Gesellschaft nicht zu vereinbaren seien. Ich bin überzeugt, das Gegenteil ist der Fall. Demokratie ermöglicht Vielfalt, und Vielfalt ermöglicht Demokratie. Aber Helmut Schmidt war bei weitem nicht allein mit seiner Haltung.
1989, kurz vor der Deutschen Einheit, sagte auch Bundeskanzler Helmut Kohl in seiner Regierungserklärung: „Wir sind kein Einwanderungsland. Und wir können es auch nicht werden.“ Der erste Satz konnte falscher nicht sein. Der zweite, muss ich sagen, stimmte allerdings, Deutschland konnte kein Einwanderungsland werden, weil es ja längst eines war! Es war seit Jahrzehnten ein Einwanderungsland! Und wenn es nicht schon immer eines war, dann spätestens aber mit der Leistung der ersten Gastarbeitergeneration. Nicht zuletzt baut ja auf dieser Leistung die Geschichte der zweiten Generation auf, also der Generation, die mitmischen wollte. Die Geschichte des LAKA und auch meine Geschichte.
Meine Damen und Herren, in was für einer Zeit der LAKA seine Arbeit aufnahm, wie wichtig es für migrantische Repräsentation war, sich zu vernetzen und zu verbünden, das weiß ich selbst nur zu gut. Denn genau in dieser Zeit wurde ich Gemeinderätin. Für alle Mitstreiterinnen und Mitstreiter damals bin ich heute noch dankbar. Zum einen hatte meine Heimatstadt Stuttgart früh erkannt, dass Vielfalt eine Stärke ist. Das war in den 70er-Jahren die Haltung des damaligen Oberbürgermeisters Manfred Rommel, und es war visionär! Zum anderen gab es Pionierarbeit, auf die wir aufbauen konnten. Ende der 80er-Jahre hatten wir in Stuttgart bundesweit die ersten Stadträtinnen mit Migrationsgeschichte. Auch das hat Schlagzeilen gemacht. Vorkämpferinnen und Mitstreiterinnen wie Gordana Golubovic und Shala Blum haben mich geprägt. Sie haben den Weg geebnet.
Und so hat auch der LAKA den Weg geebnet, in vielen Kommunen, und vor allem über einzelne Kommunen hinaus. Als erstes vereintes Sprachrohr, als gemeinsame starke Stimme der Mitgestaltung. Für diese Pionierarbeit gilt dem Landesverband großer Dank und große Anerkennung! Wir Migrantinnen und Migranten haben damals nichts geschenkt bekommen. Wir wollten aber auch nichts geschenkt haben! Wir wollten Mitbestimmung auf Augenhöhe, und wir haben sie uns erstritten, zuerst auf Kommunalebene, dann auch darüber hinaus. Augenhöhe heißt dabei auch, als Migrantin nicht nur für Migrationspolitik zuständig zu sein, sondern seine Aufgaben nach den eigenen Kompetenzen und Vorlieben wahrzunehmen, auch das war nicht immer selbstverständlich! Viele von Ihnen im Saal werden das erlebt haben. Nein, das alles war und ist ein hartes Ringen, zum Beispiel um Listenplätze. Aber durch unsere Mitbestimmung haben wir die Gesellschaft verändert, und die Gesellschaft uns. Dass ich heute als Landtagspräsidentin zu Ihnen spreche, ist ein Beispiel dafür. Teilhabe, Teilgabe, aber auch Teilnahme sind elementar für Integration. Je mehr sich Menschen als Teil der Gesellschaft verstehen, desto mehr übernehmen sie Verantwortung. Und je mehr Verantwortung sie übernehmen, desto mehr verstehen sie sich als Teil der Gesellschaft. Deshalb brauchen wir bessere Repräsentation, und zwar auf allen Ebenen!
Trotz aller Erfolge wissen wir alle, die Repräsentation ist nach wie vor viel zu gering. Erst recht in einer diverser werdenden Gesellschaft. Wie divers wir sind, zeigen die neuesten Zahlen des Zensus‘. Rund 30 Prozent der deutschen Bevölkerung haben einen Migrationshintergrund, rund 25 Prozent eine Einwanderungsgeschichte. Das sind 18 Millionen Menschen. Bei Kindern und Jugendlichen unter 15 Jahren ist der Anteil noch viel größer. Auch in Baden-Württemberg hat etwa ein Drittel der Bevölkerung einen Migrationshintergrund. In den politischen Gremien aber spiegelt sich das ganz und gar nicht wieder. Leider auch im Landtag nicht. Unser Parlament müsste diverser sein. Die Änderung des Landtagswahlrechts ist ein wichtiger Schritt in Richtung bessere Repräsentation. Mit der Zweitstimme fällt die Wahl nicht nur auf eine einzige Person, sondern auf die Landesliste einer Partei. Nun liegt der Ball bei den Parteien, ihre Listen diverser zu besetzen. Damit unser Parlament fortan wirklich ein Spiegel der Gesellschaft ist, so, wie es sich für eine starke Demokratie gehört!
Sehr geehrte Damen und Herren, leider gab es immer Stimmen, und es gibt sie noch immer, die Migration nur als Last beschreiben oder sogar als Gefahr. Man bekommt auch dieser Tage den Eindruck, dass sich darin viele Akteure überbieten wollen. Dabei verkennen sie das enorme Potenzial von Zuwanderung für das Land. Ja, Vielfalt ist herausfordernd, Integration ist anstrengend, aber wenn sie gelingt, geht unsere Gesellschaft gestärkt hervor und wir alle profitieren davon. Kulturell, aber auch demografisch und wirtschaftlich. Nicht nur haben Migranten das Land in der Vergangenheit mit zum Blühen gebracht. Wir brauchen sie auch in Zukunft, damit es nicht verwelkt. Die Ablehnung von Migration trägt derweil aber leider giftige Früchte. Hassverbrechen nehmen zu. Der Rechtsextremismus wächst. Anfang des Jahres deckten die Correctiv-Recherchen Vertreibungspläne von Fremdenfeinden auf. Millionen von Migrantinnen und Migranten sollten demnach vertrieben werden, darunter deutsche Staatsangehörige. Viele von ihnen fühlen sich hierzulande nicht mehr richtig sicher. Das ist nicht nur eine Schande, das ist ein Frontalangriff auf unsere Demokratie, auf unser Grundgesetz und dieser Angriff ist mit keiner Silbe zu dulden, weder durch den Rechtsstaat noch durch die Zivilgesellschaft.
Der Kampf gegen Ausgrenzung, Diskriminierung und Hass ist unser aller Aufgabe, ist unsere Pflicht als Bürgerinnen und Bürger dieses Landes. Und ich bin dem LAKA Baden-Württemberg sehr dankbar, dass auch dieser Kampf immer einer seiner Schwerpunkte war.
Ebenfalls gebührt dem LAKA Baden-Württemberg großer Dank für seine Präventionsarbeit: Sie beugen Extremismus in migrantischen Communities gemeinsam mit dem Demokratiezentrum des Landes und der Landeszentrale für politische Bildung. Das betrifft vor allem die Gefahr der sogenannten „Grauen Wölfe“, aber auch andere rechtsextreme Bestrebungen. Denn, meine Damen und Herren, wir, als gesamte Gesellschaft, müssen uns ehrlich machen und auch die Schwierigkeiten von Integration benennen. Sonst stärken wir nur die Feinde der Vielfalt und erweisen unsere Demokratie einen Bärendienst. Denn, wenn wir Extremismus, Hass und Nationalismus verurteilen, dann gilt das ohne Frage auch in migrantischen Milieus. Auch dort darf es keine Toleranz für Intoleranz geben. Keine Toleranz für Islamismus, Antisemitismus, Rassismus oder Ultranationalismus, aus welchem Land auch immer, ob zugewandert oder nicht. Wir müssen allen, die das Grundgesetz verachten, mit der gleichen klaren Kante entgegentreten. Wer hier in Freiheit lebt, aber das Grundgesetz und seine Werte missachtet, der muss die volle Härte des Rechtsstaats zu spüren bekommen. Auch das ist Augenhöhe. Alles andere wäre im Übrigen auch ein großes Unrecht. Ein Unrecht gegenüber der übergroßen Mehrheit aller Migrantinnen und Migranten in diesem Land, die rechtschaffen sind und das Recht achten. Das Recht der Bundesrepublik. Das Recht des Grundgesetzes. Wir, die wir uns Tag für Tag für ein gutes Miteinander einsetzen, sind die Mehrheit. Und umso wichtiger ist es, dass gerade auch wir als Mehrheit die radikale Minderheit in die Schranken weisen. Das ist ein wichtiger Beitrag der migrantischen Communities zu unserer Demokratie.
Lieber Herr Iervolino, normalerweise würde man zu so einem Jubiläum alles Gute für die nächsten 25 Jahre wünschen. Noch schöner wäre es, Ihre Arbeit würde in 25 Jahren gar nicht mehr vonnöten sein, weil Migrantinnen und Migranten überall ein selbstverständlicher Teil der Gesellschaft sind, die keine eigenen kommunalen Vertretungen mehr benötigen. Bis dahin wünsche ich Ihnen aber für die weitere Arbeit viel Erfolg, und vor allem weiterhin viele Mitstreiterinnen und Mitstreiter, die sich einmischen und unsere Gesellschaft mitgestalten.
Wir freuen uns auf Ihre Erzählung, Sie haben das Wort.