WERTSACHEN – „Männer und Frauen sind gleichberechtigt: Viel erreicht, noch mehr zu tun“?

„Fünf Worte reichen aus, um die Welt ins Wanken zu bringen.“
Das sagt die großartige Rita Süssmuth über einen der schönsten Sätze unserer Zeit.
Fünf Worte, die die Welt ins Wanken bringen:
„Männer und Frauen sind gleichberechtigt.“
Meine sehr verehrten Damen, Damen, Damen und Herren,
guten Abend und herzlich willkommen im Landtag von Baden-Württemberg! Vielen Dank für Ihr riesiges Interesse an dieser Ausgabe von „WERTSACHEN – was uns zusammenhält“. Das Format WERTSACHEN beleuchtet und feiert unser wunderbares Grundgesetz, unsere vielfältige Gesellschaft, und die beste Staatsform der Welt. Heute Abend zelebrieren und reflektieren wir eine ihrer tragenden Säulen: die Geschlechtergerechtigkeit.
„We are not going back!“ Wir gehen nicht zurück. Das war die Wahlkampf-Parole von Kamala Harris: keinen Rückschritt zulassen, nach all den Errungenschaften, die Schritt für Schritt erkämpft worden sind. Sei es in den Minderheitsrechten, in der Geschlechtergerechtigkeit oder in der Selbstbestimmung von Frauen.
Doch Harris hat den Wahlkampf verloren. Sie ist nicht die erste Frau geworden, die im Weißen Haus regiert. Sie ist nicht die erste Präsidentin der Vereinigten Staaten von Amerika. Stattdessen hat die Mehrheit der Wählerschaft Donald Trump zum Präsidenten gemacht, zum zweiten Mal. Ein offen frauenverachtender, inzwischen verurteilter Sexualstraftäter, der mit seiner Politik Frauen und Transfrauen gefährdet, ist der mächtigste Mann der Welt!
Was sendet diese Wahl für ein verheerendes Signal an Frauen, auch über die USA hinaus! Vor allem, wenn man bedenkt, dass Trump für viele rechtskonservative und autoritäre Kräfte in Europa ein Vorbild ist. Auch in Europa erleben wir einen gewaltigen Rechtsruck.
Was bedeutet das aber, Rechtsruck? Es bedeutet im Kern: weniger Gleichheit. Für Minderheiten, für Menschen in Armut, und immer auch für Frauen. Oftmals alles drei gleichzeitig. Rechtsruck bedeutet Hierarchie und Patriarchat; den Ausbau der Vorherrschaft des weißen, heterosexuellen Mannes. Und im Extremfall bedeutet Rechtsruck Unterwerfung, Unterwerfung der ohnehin Benachteiligten. Und Unterwerfung all jener, die für Freiheit und für Gleichheit sind. Wir erleben den Aufstieg rechter Kräfte, die diese Werte, Freiheit und Gleichheit, offen bekämpfen. Sie führen einen offenen Feldzug gegen die Pluralität. Und sie kämpfen um die Deutungsmacht über Männlichkeit und Weiblichkeit. Oder anders gesagt: Die größte Gefahr für die Welt geht von Männern aus, die sich vor Gleichheit fürchten!
Die Wurzel des Übels ist letztlich ein toxisches Bild von Maskulinität. Ob Trump, Putin, Orban oder Höcke: Sie alle eint, dass sie Grausamkeit mit Männlichkeit verwechseln. Und sie eint ideologisch der Kampf gegen das, was sie als „woke“ verunglimpfen wollen. „Woke“ hieß ja ursprünglich nur, wachsam zu sein. Gegen systematische Benachteiligung zu sein. Nun ist es ein Kampfbegriff. So werden etwa unter Trump die US-Behörden dazu aufgefordert, in ihren Dokumenten hunderte vermeintlich „woke“ Begriffe zu tilgen und zu meiden. Begriffe wie: „Diversität“. „Gleichheit“. „Schwangere Personen“. „Personen mit Uterus“. „Frauen“. „Feminismus“. „Sexualität“. „LGBT“. „Trans“. „Gender“. „Minderheit“. „Vorurteil“. „Unrecht“. „Opfer“. „Unterdrückung“. Dystopischer als diese Liste kann Fiktion kaum noch sein.
Meine Damen und Herren,
es sind offensichtlich mehr als fünf Worte, die die Welt der Demokratiefeinde ins Wanken bringen können: Es sind über 200. Hier zeigt sich die reine Schwäche pseudostarker Männer, die leider über Macht, Geld und Einfluss verfügen, um diese Schwäche in Stärke umzulügen. Lassen wir ihre Welt wanken, wo immer wir können!
Den Kampf gegen Vielfalt führen aber nicht nur Autokraten und Diktatoren. Sondern auch die Tech-Oligarchen in den USA. Sie beeinflussen mit ihren Plattformen nicht zuletzt auch die Debatten hier bei uns. Mark Zuckerberg etwa, der die Konzernwelt als „kastriert“ und „unmännlich“ beschreibt. Der von Unternehmen mehr Aggression einfordert, und „mehr maskuline Energie“ – was auch immer das sein soll…
Oder Elon Musk, bekennender Unterstützer der AfD, der immerzu vom „Woke-Virus“ spricht, und vom „Genderwahnsinn“. Dabei bestätigt sich eines: Niemand redet so viel übers Gendern wie jene, die dagegen sind.
Diese Männer enthemmen ihre Plattformen zunehmend. Scharen von rechten Politikern und Influencern trichtern ungebremst jungen Männern ein tradiertes Männerbild ein. Rechte Influencer wie Andrew Tate, der Frauen als Eigentum des Mannes bezeichnet, der Gewalt in Beziehungen propagiert, gegen den ermittelt wird wegen des Verdachts auf Vergewaltigung und Menschenhandel. Solche Leute erreichen Millionen von Menschen, vor allem Jugendliche! Aber auch in vermeintlich harmlosen Social-Media-Beiträgen zu Sport oder Dating kommt ein tradiertes Männerbild zum Tragen. Ein Rechtsruck, auch hier.
Es klingt paradox, aber um Frauenrechte zu stärken, brauchen wir auch eine breite gesellschaftliche Diskussion über Männlichkeit. Diese Diskussion kommt in den letzten Jahren allmählich in Gang. Es darf in der Debatte aber nicht nur um die toxische Ausprägung gehen. Sondern es braucht auch ein konstruktives, positives Gegenangebot. Ein Männlichkeitsverständnis, das eben nicht toxisch ist! Ein öffentlich anerkanntes Gegenbild, das reflektierte, feministische Männer verkörpern können, um ein Vorbild zu werden für andere. Es gibt ja Initiativen, die Aufklärungsarbeit leisten. Es gibt ja Männer, die diese Aufklärung voranbringen. Aber wie sehr auch Männer unter patriarchalen Strukturen leiden und wie viele Vorteile Gleichberechtigung für alle hat – in Unternehmen, in der Diplomatie oder in der Elternschaft: Das muss noch viel, viel stärker durchdringen.
So elementar es ist, Mädchen zu ermutigen und alte Denkmuster zu durchbrechen, so wichtig ist es auch, Jungs dafür zu begeistern. So elementar es ist, dass sich Frauen vernetzen und gegenseitig stärken, so wichtig ist es auch, Männer noch stärker zu Adressaten des Feminismus zu machen. Nur so entziehen wir dem kraftmeierischen, breitbeinig polternden Populismus den Nährboden.
Es ist vor allem an den Männern, ein solches Gegenangebot zu entwerfen. Das können wir Frauen nicht auch noch in die Hand nehmen. Aber wir können es unterstützen. Wir wollen den Teufelskreis durchbrechen!
Das bedeutet nicht, dass der Kampf um die Gleichstellung nicht vehement fortgesetzt werden muss! Und man darf unsere Wut ruhig sehen! Denn es macht wütend, wie zäh dieser Kampf seit Jahrzehnten verläuft, im Grunde seit Jahrhunderten!
Der Kampf um Fairness: zum Beispiel endlich gerecht bezahlt zu werden. Denn jeder Tag bis zum Equal Pay Day – der war dieses Jahr am 7. März – ist ein Tag zu viel!
Der Kampf um Respekt: Jedes noch so dumme sexistische Witzchen gehört sofort zurückgewiesen! Es ist einfach Schluss mit lustig!
Der Kampf um Sicherheit: Laut Bundeskriminalamt sind die Straftaten gegen Frauen und Mädchen in allen Bereichen gestiegen. Diese Gewalt gehört politisch und rechtlich massiv bekämpft, all das gehört in den Fokus der Öffentlichkeit! Die Scham muss die Seite wechseln, bei jeder dieser Taten, von Anfang an! Es gilt null Toleranz für Hass und Gewalt an Frauen, null Komma null!
Und noch etwas: Die Erzählung der Rechten, dass einzig und allein Ausländer oder Transfrauen eine Gefahr für Frauen sind, während die einheimischen Männer sie schützten, ist unfassbar verlogen! Das gibt die Kriminalstatistik keineswegs her, im Gegenteil. Wer seinen Hass auf andere Gruppen als Frauenschutz verkauft, handelt scheinheilig, dreist und inakzeptabel!
Meine Damen und Herren,
machen wir uns nichts vor: Es fehlen uns nicht nur die Quoten, es mangelt uns nicht nur an gleicher Bezahlung oder gerecht aufgeteilter Care-Arbeit. Es sind nicht nur die überfälligen Fortschritte, die fehlen. Was uns droht, ist ein Rückschritt!
Der neu gewählte Bundestag hat einen niedrigeren Frauenanteil als der vorherige; wieder unter ein Drittel! Der voraussichtlich nächste Bundeskanzler hat bereits vorab kundgetan, dass er von einer Parität im Kabinett nicht viel hält; weil man Frauen damit ja keinen Gefallen tue. Ich halte es auch da mit Rita Süssmuth, die kürzlich sagte: „Eine paritätische Besetzung des Kabinetts ist nicht nur eine Frage der Gerechtigkeit, sondern der überfälligen Notwendigkeit und politischer Weitsicht.“
Das Foto eines Sondierungsteams, zunächst bestehend aus sechs Männern, hat sich vielen von uns eingebrannt. Wer ernsthaft glaubt, dass wir in Sachen Gleichstellung am Ziel sind, sollte sich dieses Bild ganz genau anschauen!
Deshalb: Hören wir nicht auf, für die Gleichstellung zu kämpfen! Hören wir nicht auf, bis sie vollständig erfüllt ist! Und lassen wir nicht zu, dass wir das verlieren, was wir haben!
Kämpfen wir, Frauen und Männer, gemeinsam für Geschlechtergerechtigkeit!
Auch bei uns ist das Gebot der Stunde, auch bei uns muss die Kampfansage lauten, und zwar für immer: Wir gehen nicht zurück!