Gedenkfeier für die Opfer des Nationalsozialismus in Karlsruhe
Landtagspräsidentin Aras: Nie wieder ist jetzt!
Stuttgart/Karlsruhe. Der Landtag von Baden-Württemberg hat am Freitag, 26. Januar 2024, der Opfer des Nationalsozialismus gedacht. Die Gedenkfeier aus Anlass der Befreiung des Konzentrationslagers Auschwitz-Birkenau vor 79 Jahren, die sich am 27. Januar jährt, fand im Konzerthaus Karlsruhe statt. „Wir als Gesellschaft müssen unmissverständlich deutlich machen: Wir dulden keinen Antisemitismus! Nicht von rechts, nicht von links, nicht aus der Mitte der Gesellschaft, und nicht aus muslimischen Kreisen“, sagte Landtagspräsidentin Muhterem Aras (Grüne) in ihrer Gedenkrede. Es gelte, jede Form von Menschenhass zu ahnden und zu ächten, „in Baden-Württemberg, in Deutschland, in Europa“.
„In diesem Jahr gedenken wir hier in Karlsruhe verstärkt der badischen Jüdinnen und Juden, die unter den ersten jüdischen Deportationsopfern waren“, erklärte Landtagspräsidentin Aras vor rund 450 Gästen, darunter Abgeordnete der Fraktionen, Vertreterinnen und Vertreter von Regierung und Opfergruppen sowie Repräsentanten der Region und zahlreiche Schülerinnen und Schüler. „Wir begreifen die Erinnerung auch als Mahnung für unsere heutige Zeit“, so die Landtagspräsidentin mit Blick auf aktuelle Ausschläge von Demokratiefeindlichkeit und Antisemitismus in Deutschland, aber auch mit Blick auf die Anschläge der Terrororganisation Hamas vom 7. Oktober.
„Es hat längst wieder angefangen. Und die Zeit, sich zu wehren, ist jetzt. Nie wieder ist jetzt! Nie wieder dürfen Menschenfeinde in diesem Land an die Macht kommen. Nie wieder darf Hass folgenlos zur Schau getragen werden. Jede und jeder Einzelne ist in der Pflicht, das zu verhindern, aufzustehen und Haltung zu zeigen“, so Muhterem Aras.
Der 27. Januar wurde im Jahr 1996 vom damaligen Bundespräsidenten Roman Herzog zum Tag des Gedenkens an alle Opfer des Nationalsozialismus erklärt. Der Landtag von Baden-Württemberg stellt jährlich wechselnd eine Opfergruppe in den Fokus. In diesem Jahr sind es die badischen Jüdinnen und Juden. Der Gedenkstunde im Konzerthaus ging ein Stilles Gedenken auf dem Jüdischen Teil des Hauptfriedhofs Karlsruhe voraus.
„Vor 75 Jahren, vier Jahre nach der Befreiung vom Nationalsozialismus, gab die junge Bundesrepublik mit dem Grundgesetz das Versprechen, fortan die Würde eines jeden Menschen zu achten und zu schützen“, betonte Präsidentin Aras. Darin angelegt sei auch folgendes Versprechen gewesen: Jüdinnen und Juden in Deutschland sollten nach dem Menschheitsverbrechen der Shoah keine Angst mehr haben: nicht um ihre Würde und nicht um ihr Leben. Angesichts der aktuellen demokratiefeindlichen und antisemitischen Strömungen in Deutschland stellte Aras fest: „Die Wahrheit ist: Juden und Jüdinnen in Deutschland haben wieder Angst. Das ist eine unermessliche Schande für unser Land.“
Alle Bürgerinnen und Bürger seien nun gefragt, Position zu beziehen. „Wo einem Hass zu Ohren kommt, gilt es den Mund aufzumachen: Sei es am Küchentisch oder in der Kneipe, im Parlament oder auf dem Pausenhof. Nur so bewährt sich und bewahrt sich unser Grundgesetz“, erklärte Aras. Die Demonstrationen gegen Rechtsextremismus und Fremdenhass in den vergangenen Tagen machten Mut, müssten sich aber noch expliziter gegen Antisemitismus richten.
An der Gedenkstunde des Landtags in Karlsruhe nahmen auch zahlreiche Glaubensgemeinschaften und Verbände teil: neben den Israelitischen Religionsgemeinschaften Württemberg und Baden auch die Jüdische Jugend Baden. Zudem waren im Konzerthaus Vertreterinnen und Vertreter von Justiz und Kirchen, des Konsularischen Korps, der Gedenkstättenarbeit sowie von Kommunen zugegen.
Grußworte sprachen der Oberbürgermeister der Stadt Karlsruhe, Dr. Frank Mentrup, und Rami Suliman, Vorsitzender der Israelitischen Religionsgemeinschaft Baden, mit der der Landtag die Gedenkfeier gemeinsam ausrichtete. Suliman verwies auf die Anschläge der Hamas vom 7. Oktober. Seitdem fühlten sich Jüdinnen und Juden auch in Deutschland wieder unsicher. Nicht alle Bürgerinnen und Bürger würden verstehen, dass Antisemitismus nicht nur für Menschen jüdischen Glaubens eine Gefahr sei, sondern für die Demokratie insgesamt.
Prof. Dr. Doron Kiesel, wissenschaftlicher Direktor der Bildungsabteilung des Zentralrats der Juden in Deutschland, beschrieb in einem Fachvortrag jüdisches Leben in Baden damals und heute. Aktuell zeigten sich Risse im deutsch-jüdischen Gebäude, juden- und israelfeindliche Positionen würden immer unverhohlener geäußert. Das sei besorgniserregend und werfe die Frage auf, ob jüdisches Leben in Deutschland weiter eine Zukunft habe.
Als Zeichen für das Erinnern stellten Vertreterinnen und Vertreter der Jüdischen Jugend Baden in einem Beitrag historische jüdische Persönlichkeiten aus Baden vor. Sie schilderten auch eindringlich, wie sich ihr Leben seit dem 7. Oktober 2023 verändert habe und von Angst geprägt sei.
Im Namen des Landtags von Baden-Württemberg versicherte die Landtagspräsidentin, dass jüdisches Leben fester Bestandteil unserer vielfältigen Gesellschaft ist und der Landtag fest an der Seite der Jüdinnen und Juden steht.
Musikalisch umrahmt wurde die Gedenkstunde durch Fenella Bockmaier am Klavier sowie Shachar Lavi und Ido Ramot, Gesang und Klavier.