Gauck und Aras: Wir müssen die Demokratie gegen ihre Feinde verteidigen

Stuttgart. Bundespräsident a. D. Joachim Gauck und Landtagspräsidentin Muhterem Aras haben am Mittwoch in Stuttgart dazu aufgerufen, die Demokratie entschlossen gegen ihre Feinde zu verteidigen. Gauck hielt am Abend im Landtag von Baden-Württemberg vor rund 500 Gästen die Festrede bei einer Veranstaltung zum 75. Jahrestag der Verabschiedung des Grundgesetzes durch den Parlamentarischen Rat am 8. Mai 1949 in Bonn. Dazu hatte die Landtagspräsidentin im Rahmen der von ihr initiierten Reihe WERTSACHEN eingeladen.     

„Trotz Wertebindung garantiert das Grundgesetz allein nicht, dass unsere freiheitlich-demokratische Ordnung überlebt“, mahnte der frühere Bundespräsident. Die Demokratie brauche Demokraten, damit sie widerstandsfähig ist. „Die vielen Demonstrationen in den letzten Monaten gegen eine Aushöhlung der Demokratie haben mir gezeigt, dass sehr viele Bürger unseres Landes den Auftrag verstanden haben“, so Gauck. Landtagspräsidentin Aras erklärte: „Bei allen Angriffen auf die Demokratie ist die Härte des Rechtsstaats gefragt.“ Gefragt seien aber auch „die klare Haltung und Positionierung aller Demokratinnen und Demokraten in unserem Land. Denn so, wie das Grundgesetz unsere Menschenwürde achtet und schützt, müssen auch wir das Grundgesetz achten und schützen.“

Wer lange vom Guten profitiere, gewöhne sich so daran, dass er es oft nicht mehr zu schätzen weiß, sagte Gauck. Dann verwies er auf die eigene Biografie: „Aber ich, der ich fünf Jahrzehnte in einer Diktatur gelebt habe, empfand und empfinde dieses Grundgesetz als ein großes Glück. Es schuf die Grundlage für ein freiheitliches Westdeutschland, das jahrzehntelang meinen Sehnsuchtsort bildete, und es hat beigetragen zur deutschen Einheit, die auch mich Teil einer demokratischen Ordnung werden ließ.“ Für ihn sei „die heutige Feier deswegen kein leeres Ritual und ganz gewiss keine Pflichtübung, sondern eine willkommene Gelegenheit, das Grundgesetz auch nach 75 Jahren als eine bewährte Grundlage für unsere Freiheit und Demokratie zu würdigen“. 

Auch Landtagspräsidentin Aras verwies auf die eigene Herkunft. „Der Bau, den der Parlamentarische Rat Baustein für Baustein, Artikel für Artikel errichtet hat, dieser Bau ist ein gutes Haus geworden. Ein gutes Haus, für alle die hier leben und die Hausordnung achten. Ob sie im Geltungsbereich des Grundgesetzes geboren sind oder hier eine Heimat gefunden haben: Menschen wie meine Eltern und ich, die wir aus Unfreiheit in den Freiheitsraum und Schutz des Grundgesetzes gelangten und darin heimisch geworden sind“, sagte Aras. Nie hätten es sich ihre Eltern vorstellen können, „dass Menschen die Errungenschaften der Demokratie mit Füßen treten, sie verachten, eine Diktatur oder gar einen Gottesstaat auf deutschem Boden fordern könnten“. 

Umso mehr gelte es nun, dagegenzuhalten und zusammenzuhalten, „wenn es darum geht, unsere freiheitlich-demokratische Grundordnung zu verteidigen“, so die Landtagspräsidentin. Gauck erinnerte in diesem Zusammenhang daran, den Müttern und Vätern des Grundgesetzes sei aus historischer Erfahrung sehr bewusst gewesen, dass die Demokratie nicht achtlos gegen Demokratiefeinde sein dürfe. Carlo Schmid, Jurist, Sozialdemokrat, der maßgeblich das Grundgesetz mitgestaltete, habe von Anfang an den „Mut zur Intoleranz“ jenen gegenüber gefordert, „die die Demokratie gebrauchen wollen, um sie umzubringen“, so der frühere Bundespräsident.    

Die von Nicole Köster moderierte abendliche WERTSACHEN-Veranstaltung mit Joachim Gauck und den Podiumsgästen Tijen Onaran und Dr. Ronen Steinke bildete den Abschluss der Feierlichkeiten zum 75. Grundgesetzgeburtstag rund um Landtag und Opernvorplatz, die am Mittag nach der Plenarsitzung mit einem Lunchkonzert im Opernhaus begonnen hatten. Anschließend wurde das Fest auf dem Areal zwischen Landtag und Oper mit viel Musik und Mitmachaktionen fortgesetzt. 

Bürgerinnen und Bürger nutzten dabei die Gelegenheit, mit Abgeordneten aller Fraktionen, der Bürgerbeauftragten des Landes sowie mit Vertreterinnen und Vertretern der Landeszentrale für politische Bildung und des Landesverfassungsgerichtshofs ins Gespräch zu kommen. „Ich freue mich sehr, dass so viele Menschen gekommen sind, um rund um den Landtag gemeinsam unser wunderbares Grundgesetz zu feiern und auch damit die Demokratie zu festigen“, sagte Landtagspräsidentin Aras. 

Hintergrund des Jubiläums: Am 8. Mai 1949 wurde das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland im Parlamentarischen Rat beschlossen, am 23. Mai 1949 wurde es offiziell verkündet. Die Grundwerte, die in unserer Verfassung niedergeschrieben sind, waren eine Reaktion auf die Schrecken des Nationalsozialismus: Nie wieder sollten in diesem Land Diktatur und Unrecht herrschen. 

Das Jubiläumsjahr 2024 feiert der Landtag von Baden-Württemberg noch bis zum Herbst mit verschiedenen Veranstaltungen. Das Motto lautet: „75 Jahre Grundgesetz: Deine Freiheit. Mein Respekt“.