20. November 2019

Art. 20 GG als Aufforderung zu Wachsamkeit

Was kann eine Demokratie ins Wanken bringen? Und was kann sie stabilisieren? Mit diesen Fragen befasste sich die 9. Veranstaltung aus der Reihe „WERTSACHEN – Was uns zusammenhält.“ In Königsbronn, dem Heimatort des Hitler-Attentäters Johannes Georg Elser, lag der thematische Schwerpunkt - naheliegend - auf Artikel 20, Absatz 4 Grundgesetz, dem sogenannten Widerstandsrecht. Rund 300 Gäste besuchten den Gesprächs- und Diskussionsabend des Landtags in der Kulturhalle „Hammerschmiede“. 
Landtagspräsidentin Muhterem Aras (Grüne) erinnerte in ihrer Begrüßung an das Vorbild Elser. Auf die Frage „Was kann ich allein schon tun?“ habe er geantwortet: „Alles!“ Bis zum Attentat, bis zur Gewalt dürfe es aber nicht kommen, sagte Präsidentin Aras. Der 1968 ins Grundgesetz geschriebene Artikel 20, Absatz 4 sei vielmehr als Appell zu lesen, „so zu handeln, dass wir das Widerstandsrecht niemals brauchen.“  

In seinem Impulsvortrag unterstrich der wissenschaftliche Leiter der Gedenkstätte Deutscher Widerstand, Prof. Dr. Peter Steinbach, die Wichtigkeit dieses Verfassungsartikels als Bekenntnis zur Ordnung des Grundgesetzes wie auch als Aufforderung und Ermächtigung der Bürger zu Wachsamkeit und Misstrauen. Hinsehen, wahrnehmen, empören, handeln – dies sei „Widerstand der kleinen Münze“, zitierte Steinbach den Rechtsphilosophen Arthur Kaufmann. Zu wenig werde über die Voraussetzung zivilen Mutes nachgedacht, dass nämlich viel dazu gehöre, „sich in Widerspruch zu dem zu setzen, was die Gesellschaft denkt, glaubt oder rechtfertigt.“ 51 Jahre nach Einfügen des Artikels ins Grundgesetz, seit die zentrale Herausforderung wieder, die innergesellschaftliche Freiheit zu verteidigen. Elser habe es vorgemacht: "Er sah genau hin,nahm wahr und zog moralische Konsequenzen." Ziel auch solcher Veranstaltungen wie den "WERTSACHEN" sei keine "belehrende Parallelisierung", sondern zum Nachdenken darüber anregen: "Wie verhältst Du Dich?"

 Léonie-Claire Breinersdorfer sprach über ihre Motivation für ein Drehbuch zum Film „Elser – Er hätte die Welt verändert“: „Elser war ein einfacher, normaler Mann mit Lust am Leben und Weitsicht. Was hat er gesehen, was unsere Eltern und Großeltern nicht gesehen haben?“ Es müsse wieder ein gesellschaftliches Klima der Mitmenschlichkeit hergestellt werden, in dem Hass und Ausgrenzung als Tabubrüche nicht nur bemerkt, sondern ganz selbstverständlich von jeder und jedem Einzelnen abgelehnt würden.   

Dr. Ines Mayer, die zweite Vorsitzende des Vereins Gedenkstätten KZ Bisingen und Prädagogin, plädierte auf dem von der Hörfunkjournalistin Sandra Müller moderierten Podium für Gedenkarbeit in neuem Gewand. NS-Geschichte an Biografien festzumachen und sie weiter zu erzählen bis in die heutige Zeit zu den Nachfahren, habe sich in der Gedenkstätte Bisingen bewährt. ""Die Gegenwartsbezüge kommen automatisch." Das Bewusstsein, dass jeder wieder gefordert sei, einzustehen gegen Rassismus, Antisemitismus etc. sei akrtuell sehr groß. 

An der WERTSACHEN-Veranstaltung, konzipiert in Kooperation mit der Landeszentrale für politische Bildung (LpB), nahmen Schülerinnen und Schüler des Ernst-Abbe-Gymnasiums Oberkochen teil. Sie formulierten ihre Motivation, Zivilcourage zu zeigen: "Wir sind die erste Nachkriegsgeneration, die sich gegen eine reale Gefährdung der Demokratie verteidigen muss" und: "Ich engagiere mich politisch, bevor es  wirklich zu spät ist." 

Aus dem Landtag nahmen der SPD-Fraktionsvorsitzende Andreas Stoch, die Grünen-Abgeordneten Martin Grath, Manfred Kern sowie die Bundestagsabgeordnete Margret Stumpp teil, von Seiten der Kommunen der Bürgermeister von Königsbronn, Michael Stütz, sowie der Landrat des Kreises Heidenheim, Peter Polta. Musik kam von der Gruppe „freywolf“.