Bundespräsident Wulff zu Besuch im Landtag von Baden-Württemberg
Stuttgart. Sein erster offizieller Besuch in Baden-Württemberg hat Bundespräsident Christian Wulff am Donnerstag, 16. Dezember 2010, auch in den Landtag geführt. Dort wurden er und seine Frau Bettina Wulff im Plenarsaal von Landtagspräsident Peter Straub (CDU) herzlich willkommen geheißen. Durch seinen Besuch erweise Wulff der Eigenstaatlichkeit der Länder konkret die Reverenz, sagte Straub. Nach einem weiteren Grußwort von Ministerpräsident Stefan Mappus sprach Wulff zu den Abgeordneten. Am Rande eines sich anschließenden Empfangs für Gäste aus Politik, Wirtschaft, Kirche und Gesellschaft trug sich das Staatsoberhaupt in das Gästebuch des Landtags ein. – Die Begrüßungsansprache von Landtagspräsident Peter Straub hatte folgenden Wortlaut: >>Ihr Besuch im Landtag von Baden-Württemberg, Herr Bundespräsident, beschränkt sich nicht auf eine lockere Begegnung. Sie geben uns als Parlament die volle Ehre und sprechen hier im Plenarsaal. Anders gesagt: Sie erweisen der Eigenstaatlichkeit der Länder konkret die Reverenz. Herzlichen Dank für diese bemerkenswerte Geste! Sie tun es damit Theodor Heuss gleich: Der hat bei seinem „nationalen Staatsbesuch“ im Januar 1954 ebenfalls vor dem Landtag eine Rede gehalten. Die Gründung Baden-Württembergs war zwei Monate zuvor mit dem Inkrafttreten der Landesverfassung staatsrechtlich vollendet worden. Und Theodor Heuss pries das Ergebnis der hart umkämpften Länderfusion als „Modell deutscher Möglichkeiten“. Durch diese – seither oft zitierte – Charakterisierung wollte er nicht nur die Verantwortlichen hier zu Lande ermutigen, die innere Einheit des Südweststaats entschlossen herzustellen. Er wollte bundesweit für leistungsfähige Strukturen werben. Elanvolle Zuversicht verbreiten, nicht träge Glückserwartung propagieren – das haben auch Sie sich, Herr Bundespräsident, zur Aufgabe gemacht. Und es ist hoffentlich kein Fauxpas, wenn ich bekunde: Ihre jugendliche Erscheinung prädestiniert Sie dazu. Sie sind am 19. Juni 1959 geboren worden. Die Grundsteinlegung für dieses Landtagsgebäude fand am 24. Juni 1959 statt. Sie verkörpern die Nachkriegsgeneration; und Sie haben bei Ihrer Israelreise beeindruckend gezeigt, wie ernst Sie diese spezifische Verantwortung nehmen. Dieses Parlamentsgebäude markiert den Abschluss des Wiederaufbaus unserer Demokratie; es ist sogar der erste Parlamentsneubau in Europa nach 1945. Seine Architektur veranschaulicht die Demokratie-Idee: Die quadratische Form steht für ein ausgewogenes Kräftespiel; die verglaste Lobby symbolisiert die Offenheit der Demokratie; und dieser Plenarsaal in der Mitte versinnbildlicht die zentrale Bedeutung der Vollversammlung. „Ausgewogenes Kräftespiel“; „Offenheit der Demokratie“; „zentrale Bedeutung des Parlaments“ – das sind Aspekte, die gegenwärtig – von Stuttgart ausgehend – engagiert diskutiert werden. Die repräsentative Demokratie ist prinzipiell gefordert. Es kommt für ihre Gremien mehr denn je darauf an, scharf und profiliert, aber trotzdem sachbezogen und verständlich zu streiten; einander wirklich zuzuhören und die Gegenargumente erkennbar abzuwägen; sowie beim Planen von Großprojekten zusätzliche Schnittstellen hin zu den Bürgern zu schaffen. In der sogenannten „Medien- und Internetdemokratie“ muss sich der Parlamentarismus neu bewähren – als Ort, wo die „Verantwortung für das Ganze“ transparent und überzeugend wahrgenommen wird. „Verantwortung für das Ganze“ – dafür brauchen die Parlamente gesicherte Zuständigkeiten und garantierte Mitwirkungsrechte. Der Vertrag von Lissabon sowie das Urteil des Bundesverfassungsgerichts hierzu bestätigen das explizit. Wir sind deshalb momentan dabei, die Regelungen unserer Landesverfassung zur Beteiligung des Landtags in EU-Angelegenheiten zu verstärken. Künftig soll gelten: Berührt ein EU-Vorhaben die Gesetzgebungszuständigkeiten der Länder wesentlich, dann muss die Landesregierung Stellungnahmen des Landtags berücksichtigen. Und wenn ein EU-Vorhaben im Schwerpunkt ausschließliche Gesetzgebungskompetenzen der Länder betrifft, dann ist die Landesregierung sogar an Stellungnahmen des Landtags grundsätzlich gebunden. Wir gehen damit sehr weit – ganz im Sinne des von uns gerne verinnerlichten Prädikats „Modell deutscher Möglichkeiten“.
Föderalisten sind eben sperrige Wesen. Wir in diesem Gebäude werden dazu auch vom „Geist des Ortes“ inspiriert. Genau hier stand nämlich bis zu einer Bombennacht 1944 die „Hohe Carlsschule“, an der Friedrich Schiller als angehender Regimentsarzt seine „Räuber“ schrieb. Und die „robuste“ Behandlung durch seinen Landesherrn befeuerte seinen Freiheitsdrang zusätzlich. Sein später verfasster „Wilhelm Tell“ – das Stammbuch aller Föderalisten – zeugt davon. Kurzum: Dass und wie Sie uns die Aufwartung machen, Herr Bundespräsident, setzt ein rundum wohltuendes Zeichen. Sie und Ihre Gattin sind uns höchst geschätzte Gäste!