Landtagspräsident Straub: Verfassungsentwurf des EU-Konvents bringt Ländern und Regionen Fortschritte
Grußwort anlässlich eines Vortragsabends mit dem italienischen Botschafter Es gilt das gesprochene Wort! Stuttgart. „Eine Bilanz der italienischen Präsidentschaft vor dem Europäischen Gipfel am 12. Dezember“ lautete das Thema eines Vortrags, den der italienische Botschafter in Deutschland, Silvio Fagiolo, am Dienstagabend, 2. Dezember 2003, im Landtag hielt. Zuvor hatte Landtagspräsident Peter Straub (CDU) den Redner sowie die zahlreichen Gäste mit folgenden Worten begrüßt: >>Sehr herzlich möchte ich Sie heute Abend im Landtag von Baden-Württemberg willkommen heißen. Europa befindet sich zu Beginn des 21. Jahrhunderts an einem Scheideweg. Die Europäische Union steht vor einer entscheidenden Wegmarke, die die zukünftige Richtung der Europäischen Union maßgeblich bestimmen wird. Gespannt richten sich derzeit die Blicke nach Italien und groß ist der Wunsch vieler Bürger Europas, dass am 12. Dezember „weißer Rauch“ über dem Tagungsgebäude der Regierungskonferenz aufsteigen wird – habemus constitutionem! Es ist uns deshalb eine besondere Ehre und Freude den italienischen Botschafter in Deutschland, Sie, sehr verehrter Herr Dr. Fagiolo, heute als Gast begrüßen zu dürfen. Nur wenige sind so berufen wie Sie, vor diesem für die Zukunft Europas so bedeutsamen Gipfel, eine Bilanz der italienischen EU- Präsidentschaft zu ziehen. Gleich ob es der Vertrag von Maastricht, der von Amsterdam oder der von Nizza war – immer waren Sie in Ihrem Land an maßgeblicher Stelle mit den Arbeiten an den Reformen der europäischen Verträge befasst, weshalb wir besonders gespannt auf ihre Analyse sind. Und wir sind Ihnen dankbar, dass Sie im Anschluss an Ihren Vortrag für eine Diskussionsrunde zur Verfügung stehen. Für die Leitung der Diskussion haben wir den Chefredakteur des SWR-Fernsehens gewonnen, also Sie, verehrter Herr Dr. Zeiss. Auch Sie, Herr Dr. Zeiss, heiße ich herzlich willkommen. Meine Damen und Herren, 46 Jahre nach den Verträgen von Rom befinden wir uns am Vorabend der größten Erweiterungsrunde in der Geschichte des europäischen Integrationsprojekts. 10 neue Staaten werden am 1. Mai des nächsten Jahres der EU beitreten und von zwei weiteren Staaten wird dieser Schritt bereits im Jahre 2007 erwartet. Mit der Erweiterung der Europäischen Union ist der Eiserne Vorhang, der Europa 50 Jahre trennte, endgültig gefallen. „Die Erweiterung der Union wird die Geschichte Europas mit der Geographie des Kontinents versöhnen“. Treffender als mit diesem Zitat des ehemaligen polnischen Außenministers Geremek kann man die Entwicklung nicht beschreiben. Sie verlangt aber von der Europäischen Union eine Änderung ihrer rechtlichen Grundlagen. Dies ist zum einen notwendig, um die gewaltige Herausforderung der Erweiterung überhaupt bewerkstelligen zu können. Sie ist aber auch erforderlich, weil sich die Europäische Union in den letzten fünfzig Jahren von einem wirtschaftsliberalen Zweckverband, der sich lange Zeit auf Zollfragen, Binnenmarkt und Agrarpolitik konzentrierte, zu einem politisch handelnden Hoheitsträger mit staatsähnlichen Kompetenzen entwickelt hat. Aus diesen Gründen hat der Europäische Rat den Konvent einberufen, um eine Verfassung für Europa zu erarbeiten. Der Konvent hat diese Aufgabe mit Bravour gemeistert. Die Erweiterung der Union und der Verfassungsvertrag bedingen einander. Ohne Erweiterung hätte es den Konvent nicht gegeben. Ohne rechtliche Neuordnung der Europäischen Union wäre die Erweiterung nicht machbar. Unser Kontinent stellt sich mit der Diskussion über eine Verfassung zum wiederholten Male in den letzten 50 Jahren die Frage: Quo vadis Europa? Die Väter der europäischen Integration, Robert Schuman, Jean Monnet, Walter Hallstein oder Alcide de Gasperi, sie alle wollten eine enge Verflechtung vitaler Interessen der Nationen. Die Übertragung nationalstaatlicher Souveränitätsrechte an supranationale europäische Institutionen sollte dazu das Mittel sein. Denn das System souveräner Nationalstaaten und ihrer variierenden Bündnisse, diese Ordnung, so Walter Hallstein, „hatte ihre Gültigkeit verloren, weil sie die einzige Prüfung nicht bestanden hatte, die im 20. Jahrhundert wahrhaft verbindlich ist: sie hatte sich als unfähig erwiesen, den Frieden zu wahren“. Wir dürfen die großartige Chance, durch die Erweiterung jetzt ein geeintes Gesamteuropa des Friedens, des Wohlstands und der Sicherheit zu schaffen, nicht ungenutzt verstreichen lassen. Das Ergebnis der Regierungskonferenz, die derzeit den vom Konvent vorgelegten Verfassungsentwurf berät, wird in entscheidender Weise über den weiteren Fortgang dieses historisch einmaligen Projekts entscheiden. In einer Europadebatte anlässlich der Plenarsitzung des Landtags in der vergangenen Woche haben sich alle Fraktionen dafür ausgesprochen, dass der Verfassungsentwurf des Konvents ohne substantielle Änderungen von der Regierungskonferenz verabschiedet wird. Dies vor allem deshalb, weil er unbestreitbar für die dritte Ebene in Europa, den Ländern und Regionen, Fortschritte gebracht hat: Die Einbeziehung der Charta der Grundrechte in den Entwurf, die Einteilung der Kompetenzen der EU in drei Kategorien, die Kontrolle der Subsidiarität durch das Frühwarnsystem und das Klagerecht der zweiten Kammern. Und schließlich, die seit langem geforderte Verpflichtung der Union, die kommunale Selbstverwaltung als Bestandteil der nationalen Identität zu achten. Exzellenz, wir sind deshalb der italienischen Ratspräsidentschaft dankbar, dass sie nachdrücklich dafür eintritt, den Entwurf des Konvents weitgehend unverändert zu übernehmen und durch „eine straffe Verhandlungsführung“ den Erfolg der Regierungskonferenz zu gewährleisten. Das ist freilich eine wahre Herkulesaufgabe, angesichts der starken Bestrebungen einiger Staaten, zugunsten nationaler Einzelinteressen den Konventsentwurf zu verwässern. „Von Rom nach Rom“ – dies ist ein Wunsch, den wir deshalb mit der italienischen Ratspräsidentschaft uneingeschränkt teilen. Schließen möchte ich mit einem anderen Zitat von Walter Hallstein, das uns Zuversicht in die Zukunft Europas gibt: „Wer in europäischen Dingen nicht an Wunder glaubt, ist kein Realist.“ Ich darf nun das Wort weitergeben an den italienischen Generalkonsul in Stuttgart, an Sie, verehrter Herr Dr. Musella.