Landtagspräsidentin Aras: Gefahren für Freiheit, Demokratie und Menschenwürde mutig und entschlossen begegnen
Stuttgart. Der Landtag von Baden-Württemberg hat am Freitag, 27. Januar 2023, mit einer Gedenkstunde an die Opfer des Nationalsozialismus erinnert. Am 78. Jahrestag der Befreiung des Konzentrations- und Vernichtungslagers Auschwitz-Birkenau fand eine zentrale Gedenkfeier im Haus des Landtags statt. In diesem Jahr wurde insbesondere der Menschen gedacht, die gegen die menschenverachtende Ideologie des Nationalsozialismus Widerstand geleistet haben. „Das Gedenken an die Verbrechen des Nationalsozialismus ist in diesem Sinne auch ein Nachdenken darüber, was wir aus unserer Vergangenheit lernen“, sagte Landtagspräsidentin Muhterem Aras (Grüne). „Was wir lernen, um den Gefahren für Freiheit, Demokratie und Menschenwürde mutig und entschlossen zu begegnen. Hier und anderswo.“
In ihrer Gedenkrede vor rund 250 Gästen, darunter Abgeordnete aller Fraktionen, Vertreterinnen und Vertreter von Regierung und Opfergruppen sowie Repräsentanten der Region, sprach die Landtagspräsidentin über den demokratischen Auftrag, für gemeinsame Grundwerte der Freiheit und der Vielfalt offensiv einzustehen. „Das Vermächtnis des Widerstands bedeutet für mich, unser wunderbares Grundgesetz und seine Werte zu verteidigen, die uns Freiheit seit bald 75 Jahren geben“, so Muhterem Aras. Die Normen der Verfassung seien die Antwort auf den Holocaust und das Erbe von Freiheitskämpferinnen und -kämpfern. „Aber Gesetzestexte allein können unsere Freiheit und unsere Werte nicht garantieren. Dazu braucht es Zivilcourage. Es braucht Menschen, die aufstehen, wenn diese Werte angegriffen werden“, erklärte Aras.
Der 27. Januar wurde im Jahr 1996 vom damaligen Bundespräsidenten Roman Herzog zum Tag des Gedenkens an die Opfer des Nationalsozialismus erklärt. Der Landtag von Baden-Württemberg stellt jährlich wechselnd eine Opfergruppe in den Fokus. „Dieses Jahr stellen wir Menschen in den Mittelpunkt, die aktiv und passiv Widerstand geleistet haben gegen das NS-Regime“, so die Landtagspräsidentin. „Wir erinnern an mutige Frauen und Männer, an ihre Schicksale und ihre Motivation. Und richten dabei unseren Blick nach vorne. Wir stellen uns die Frage: Wie können diese Menschen und ihre Taten uns heute Vorbild sein?“
An der Gedenkstunde des Landtags nahmen neben Landtagspräsidentin Aras sowie Vertreterinnen und Vertretern aller Fraktionen auch zahlreiche Glaubensgemeinschaften und Verbände teil: die Israelitischen Religionsgemeingemeinschaften Württemberg und Baden, Vertreterinnen und Vertreter des Landesverbandes der Sinti und Roma, der Glaubensgemeinschaft der Zeugen Jehovas, des Vereins der Verfolgten des Naziregimes, des Vereins Weißenburg e.V. sowie des Bunds der Jenischen in Deutschland.
Der wissenschaftliche Leiter des Verbands Deutscher Sinti und Roma Baden-Württemberg, Dr. Tim Müller, beleuchtete in seinem Grußwort das Thema Widerstand aus Sicht der Opfergruppen: „Die Opfer des Nationalsozialismus, derer heute gedacht wird, waren nicht nur Opfer. Das müssen wir zu begreifen lernen. Die Opfer des Nationalsozialismus waren auch Menschen, die angesichts von Verfolgung und Tod ihre Würde zu behaupten, anderen zu helfen, sich der Gewaltherrschaft entgegenzustellen versuchten.“ Er erinnerte an die kürzlich verstorbene Auschwitz-Überlebende Zilli Schmidt. In einem Fachvortrag sprach anschließend Prof. Angela Borgstedt, Geschäftsführerin der Forschungsstelle Widerstand gegen den Nationalsozialismus im deutschen Südwesten der Universität Mannheim, über Widerstand gegen den Nationalsozialismus und Widerständigkeit im Alltag. Sie betonte: „Eines macht die Beschäftigung mit dem Widerstand in der NS-Diktatur überdeutlich: Wirksamer Widerstand muss vorverlagert, präventiv sein, weil in einer einmal etablierten Diktatur die Handlungsmöglichkeiten gering sind und der Preis für Gegenwehr immens ist.“
Das Zentrum für Gestaltung Ulm beteiligte sich mit einem künstlerischen Beitrag zum Thema „Zivilcourage“. Musikalisch begleitet wurde die Veranstaltung durch das Cymin Samawatie Ensemble.
Der Feier ging ein stilles Gedenken voraus. Dabei legten unter anderem Vertreterinnen und Vertreter des Landes und von Opferorganisationen beim Mahnmal für die Opfer nationalsozialistischer Gewaltherrschaft (zwischen Altem Schloss und Karlsplatz in Stuttgart) Kränze und Gestecke nieder.
Im Anschluss an die Gedenkfeier waren alle Besucherinnen und Besucher zu Gesprächen und Begegnungen ins Foyer im Haus des Landtags eingeladen. Opferorganisationen informierten an Ständen über ihre Arbeit. Zudem gab es die Möglichkeit, an Führungen durch die Stauffenberg-Gedenkstätte, das Hotel Silber und die Ausstellung #StolenMemory vor dem Landtagsgebäude teilzunehmen.
Die Wanderausstellung #StolenMemory ist noch bis zum 15. Februar 2023 in einem Ausstellungscontainer auf dem Opernvorplatz zu sehen. Im Mittelpunkt stehen der letzte Besitz von KZ-Inhaftierten und die Frage, wie es heute noch gelingt, dieses Erbe an Familien der Opfer zurückzugeben. Die Ausstellung ist von Montag bis Freitag, 8.00 bis 20.00 Uhr, sowie samstags von 9.00 bis 17.00 Uhr geöffnet und wird von der vhs Stuttgart und Kooperationspartnern mit einem Veranstaltungsprogramm begleitet: https://vhs-stuttgart.de/stolenmemory (externer Link)
Der Mitschnitt der Liveübertragung aus dem Plenarsaal wird zeitnah in die Mediathek auf der Homepage des Landtags gestellt:
https://www.landtag-bw.de/home/mediathek/videos.html (externer Link)