Zu Beginn der Plenarsitzung am 26. September 2001:

Erklärung von Landtagspräsident Straub zu den Terroranschlägen in den USA Stuttgart. Mit einer Erklärung von Landtagspräsident Peter Straub zu den Terroranschlägen in den USA hat am Mittwoch, 26. September 2001, in Stuttgart die erste Plenarsitzung des baden-württembergischen Parlaments nach der Sommerpause begonnen. Die Erklärung des Präsidenten hat folgenden Wortlaut: >>Flugzeuge, die sich wie Pfeile in die Türme des World Trade Centers bohren; verzweifelte Menschen, die aus den Fenstern um Rettung flehen; Menschenleiber, die aus großer Höhe in die Tiefe fallen; in sich zusammensackende Wolkenkratzer, die alles unter sich begraben, auch die Retter, die bereits am Ort des Grauens sind - zwei Wochen nach den zuvor unvorstellbaren Terroranschlägen in den USA sind wir noch immer zutiefst betroffen, entsetzt, beklommen. Unser Alltag geht zwar weiter; aber der Alltag hat uns nicht wieder. Es ist deshalb nicht nur eine leere Geste, wenn der Landtag von Baden-Württemberg heute · seine Trauer um die Opfer, · sein Mitgefühl für deren Angehörigen · und seine Hochachtung vor den Leistungen der Helferinnen und Helfern bekundet. Wir teilen das Leid des amerikanischen Volkes, dem wir Deutschen so viel verdanken. Und wir zollen dem amerikanischen Volk Respekt für die Art, wie es im Anblick seiner Verwundungen durch den perfiden, menschenverachtenden Terror patriotischen Zusammenhalt und die Selbstbehauptungskraft einer freien Gesellschaft bewiesen hat. Wir gedenken insbesondere auch den Opfern aus unserem Land, deren Angehörigen unser ganzes Mitgefühl gilt. Vom Optimismus, mit dem wir ins 21. Jahrhundert gestartet sind, ist nur noch wenig übrig. Wir haben am 11. September 2001 bitter erfahren, · wie verwundbar unsere vernetzte, mobile und offene Welt ist, · was ein von fanatisiertem Hass getriebener Hightech-Terrorismus anzurichten vermag, · dass hoch intelligente, aber wahnsinnige Massenmörder jeden von uns jederzeit an jedem Ort in den Tod reissen können. Diese neue Dimension des Terrors ist ein Anschlag gewesen · auf die zivilisierte Völkergemeinschaft, · auf die Grundsätze eines friedlichen Zusammenlebens, · auf eine Welt, in der Freiheit und Menschenwürde, Humanität und Toleranz die obersten Werte sind. Wir stehen daher vor einer historischen Herausforderung, die nicht nur den Einsatz aller geeigneten sachlichen Mittel und Werkzeuge nötig macht, sondern vor allem politische und moralische Entschlossenheit erfordert. In den ersten Tagen nach den Anschlägen war es wichtig und wohltuend, menschliche Zeichen zu setzen und eine emotionale Solidarität aufzubauen. Auch die Bürgerinnen und Bürger Baden-Württembergs haben auf vielfältige Weise eindrucksvoll gezeigt, dass sie mit Amerika trauern und dass sie zu Amerika stehen als Synonym für ein Gemeinwesen, das auf Meinungsfreiheit, Glaubensfreiheit, Freiheit von Not und Freiheit von Furcht gegründet ist. Ich danke allen Mitbürgerinnen und Mitbürgern, die sich an Gedenkgottesdiensten, Schweigemärschen, Mahnwachen sowie an Hilfs- und Spendenaktionen beteiligt haben für die so zum Ausdruck gebrachte individuelle Solidarität. Umso mehr muss nun die wehrhafte Demokratie ihre Wehrhaftigkeit durch überzeugendes Handeln deutlich machen - und das ist in Deutschland auch und gerade eine Bewährungsprobe für die Länderparlamente. Wir dürfen deshalb viererlei nicht unausgesprochen lassen: Erstens: Ohne Sicherheit gibt es keine Freiheit . Unsere Freiheit wird weder durch maßvolle Gesetzesänderungen noch durch eine gut ausgestattete Polizei oder einen schlagkräftigen Verfassungsschutz bedroht. Würde es unser Staat zulassen, dass sich Terrornetzwerke etablieren können, und würde sich unser Staat als unfähig erweisen, die Menschen vor dem global agierenden Terrorismus zu schützen, zählten bald die politischen Rattenfänger von rechts- oder linksaußen zu den Profiteuren. Zweitens: Freiheit hat ihren Preis. Einen Preis, den in den kommenden Monaten und Jahren jeder Einzelne in seinem persönlichen Umfeld und in seinen materiellen Ansprüchen an den Staat wird entrichten müssen - durch verstärkte Kontrollen und Beobachtung an vielen Stellen oder durch eine höhere Steuer- und Abgabenlast oder durch andere Konsequenzen. Drittens: Wer Frieden und Freiheit erhalten will, muss den Mut haben aufzustehen - · aufzustehen gegen Extremisten, egal welcher Nationalität, · aufzustehen gegen Hetzer, gleich welcher Ideologie. Wer Frieden und Freiheit erhalten will, muss aber mit gleicher Intensität die intellektuelle Kraft haben, zu differenzieren zwischen dem Islam als Weltreligion und jenen Fanatikern, die den Islam durch das Ausleben ihrer Hassideologie aufs Schlimmste missbrauchen. Wir dürfen die ganz überwältigende friedliebende Mehrheit unser Mitbürgerinnen und Mitbürger islamischen Glaubens nicht ausgrenzen; wir sollten sie vielmehr politisch und gesellschaftlich einbinden in die Bekämpfung des Terrorismus. Und viertens: Künftig gilt noch mehr: Außenpolitik ist "Welt-Innenpolitik". Es geht um ein mittel- und langfristig angelegtes Konzept, · das die Unterstützer des Terrorismus politisch isoliert und finanziell austrocknet · und das die Grundlagen des Terrors - Elend, Unterdrückung, Unterentwicklung, Hoffnungslosigkeit - beseitigt. Dass wir hier im Landtag von Baden-Württemberg jetzt zur normalen Tagesordnung übergehen, heißt nicht, dass wir den gewohnten Alltag rekonstruieren möchten. Eine Aufgabe steht über allem - die Aufgabe, dass wir uns auf das Wesentliche besinnen und die Freiheit - bestimmt und klug - sichern. Mögen wir uns dazu fähig erweisen.