Eröffnung NS-Dokumentationszentrum Freiburg

Meine Damen und Herren,
Anita Lasker-Wallfisch überlebte Auschwitz-Birkenau. Ihre Erzählungen wollte direkt nach dem Krieg niemand hören. Deshalb schwieg sie über Jahrzehnte. Ihren Kindern schrieb sie aber später das Widerfahrene auf. Zum Beispiel dies: „Je mehr ich darüber nachdenke, umso mehr wird mir klar, dass es unmöglich ist – jedenfalls für mich –, das Leben in Auschwitz-Birkenau zu beschreiben. Die Ingredienzen dieser Hölle waren: Gestank brennender Leichen, Rauch, Hunger, Angst, Verzweiflung, Geschrei.“ Anita Lasker-Wallfischs Erzählungen tragen den Titel: „Ihr sollt die Wahrheit erben“.
Wir alle haben die Wahrheit geerbt. Das Wissen ist überall zugänglich. Wir kennen die Vergangenheit, wenn wir sie kennen wollen. Doch viele wollten nie, oder wollen nicht mehr. Der Weg des Erinnerns wurde immer auch gemieden, von denen, die wegschauten, weghörten, schwiegen. Ignorierten. Oder er wurde blockiert, von denen, die logen, relativierten, einen Schlussstrich forderten. Derweil ging das Leid der Überlebenden weiter. Auch das Unrecht ging oft weiter.
Der Weg des Erinnerns führt vorbei an der beschämend-lückenhaften rechtlichen Aufarbeitung. Er führt vorbei am politischen Gegenwind, der vielen Menschen entgegenschlug, die nach dem Krieg Sühne und Gerechtigkeit für sich und andere suchten. Er schlug noch Jahrzehnte denen entgegen, die sich ehrenamtlich vor Ort für das Erinnern einsetzten. Bis es zum Erinnern kam, hat es lange gedauert. Nun ist das Erinnerte lange her. Umfragen zeigen, dass das Wissen zurückgeht. Junge Befragte wissen immer weniger vom Holocaust, von der Shoah.
Den Weg des Erinnerns gilt es immer wieder zu beschreiten, sonst wuchert er zu. Und gleichsam gilt es immer zu erklären, warum. Was geht uns diese Vergangenheit ganz persönlich an? Warum all die Details der Vergangenheit im Herzen tragen? Zum einen, um die Opfer zu würdigen, an ihre Würde zu erinnern. Zum anderen, damit wir begreifen, wozu Menschen fähig sind, wenn man dem Hass und der Herzlosigkeit nicht Einhalt gebietet. Weil es uns alle in den Abgrund reißt, in die Untiefen der Unmenschlichkeit, wenn wir nicht früh genug die Menschlichkeit verteidigen!
“Die Ereignisse von 1933 bis 1945 hätten spätestens 1928 bekämpft werden müssen. Später war es zu spät“, konstatierte Erich Kästner, der einst mit ansah, wie seine Werke bei der großen Bücherverbrennung in Flammen aufgingen. In Freiburg fand eine der Bücherverbrennungen im Juni 1933 im Universitätsstadion statt. Von Martin Heidegger als Rektor der Universität und ausdrücklichem Unterstützer der nationalsozialistischen Herrschaft ist das Zitat überliefert: “Niemals dürfen wir blind werden im Kampf. Flamme künde uns, leuchte uns, zeige uns den Weg, von dem es kein Zurück mehr gibt“.
Die Gleichschaltung von Politik, Verwaltung, Presse und Kirche hatte auch in Freiburg längst stattgefunden. Schon am 6. März hisste man gegen den Widerstand Oberbürgermeisters Bender die Hakenkreuzflagge am Rathaus obwohl die Wahl am Vortag mit 36 Prozent für die Nationalsozialisten unter dem Reichsdurchschnitt von 44 Prozent geblieben war.
Hatte der Reichstagsbrand schon den Vorwand für eine bisher nicht gekannte Verfolgung der Gegner des Nationalsozialismus gegeben, so verstärkte sich dies in Freiburg durch den Tod zweier Polizisten: In dieser Woche vor genau 92 Jahren tötete der badische Landtagsabgeordnete Nußbaum in Notwehr zwei Polizisten in Zivil, die sich Zutritt zu seiner Wohnung beschafft hatten, um ihn in sogenannte Schutzhaft zu nehmen.
Die badische Landesregierung nutzte den Vorfall als Vorwand, um gegen weitere badische Landtagsabgeordnete wie auch Lokalpolitiker von SPD und KPD vorzugehen und sie zu verhaften. Es folgten Boykotte jüdischer Geschäfte, Entlassungen jüdischer Mitarbeiter, Verhaftungen und Einkerkerung weiterer politischer Oppositioneller, der Abtransport von jüdischen Freiburgerinnen und Freiburger in Konzentrations- und Vernichtungslager. All das flankiert von Hass und Hetze im Kampfblatt der Nationalsozialisten Oberbadens, Der Alemanne. Diese beschämenden und erniedrigenden Pamphlete existierten, Tag für Tag von November 1931 bis Mitte April 1945. Niemand kann sagen, er habe von nichts gewusst. Damals nicht. Und heute nicht. Wissen und Gewissen hängen zusammen.
Sehr geehrte Damen und Herren,
als Landtagspräsidentin und Verfassungspatriotin ist der Kampf für die Wahrungen unserer Freiheiten und der parlamentarischen Demokratie meine Lebensaufgabe. Als jemand, die die ersten zwölf Jahre ihres Lebens in Unfreiheit aufgewachsen ist, werde ich immer Partei ergreifen für die Würde des Einzelnen, den Schutz von Minderheiten, Geschlechtergerechtigkeit und die Unabhängigkeit von Justiz und Presse.
Werte, die der Nationalsozialismus mit Füßen getreten hat. Werte, für die mutige Menschen gegen den Nationalsozialismus eingestanden sind, für die sie getötet wurden, Werte, die nichts galten.
Sechs Millionen Jüdinnen und Juden wurden ermordet. Bis zu 500.000 Sinti und Roma wurden ermordet. Ermordet wurden Zeugen Jehovas, Menschen mit Behinderung, queere Menschen, Menschen, die als „asozial“ beschimpft und herabgesetzt wurden, Kriegsdienstverweigerer; Oppositionelle, Menschen aus dem aktiven und passiven Widerstand.
Gemeinsam mit allen Opfergruppen gedenken wir im Landtag am 27. Januar den Opfern des Nationalsozialismus. Es mir besonders wichtig, dabei immer auch junge Menschen miteinzubeziehen, und neue Wege des Gedenkens zu gehen. Persönlich ist es mir auch ein großes Anliegen, die Gedenkarbeit zu verstetigen und jüdisches Leben sichtbar zu machen.
Ich bin dem Landtag und den Fraktionen Grüne, CDU, SPD und FDP/DVP sehr dankbar, dass Sie mich in diesen Anliegen immer unterstützt haben. So wurde mit dem letzten Doppelhaushalt auch das NS-Dokumentationszentrum für seine wichtige Projektarbeit finanziell unterstützt. Insgesamt hat der Landtag die Förderung der Gedenkstätten- und Erinnerungsarbeit seit 2011 um mehr als das Zehnfache gesteigert. Dafür bin ich den vier Fraktionen sehr dankbar.
Als Herr Oberbürgermeister Horn mich fragte, ob ich die Schirmherrschaft über das NS-Dokumentationszentrum übernehmen möchte, habe ich daher keine Sekunde gezögert!
Sehr geehrte Damen und Herren, lieber Martin Horn!
Als Stadtgesellschaft und Politik haben Sie hier etwas ganz Besonderes auf die Beine gestellt. Dazu gehörten Mut, Weitsicht und die Bereitstellung einer nicht unerheblichen Summe Geld – auch das erfordert heutzutage Mut. Mein Dank an den damaligen und heutigen Gemeinderat für diese Entscheidungskraft, ebenso an Herrn Oberbürgermeister Horn für sein unermüdliches Engagement!
Aber natürlich begann es nicht mit dem Beschluss 2018. Generationen an Forschern, in Wissenschaft und Bürgerschaft, haben den Grundstein gelegt. Zum 50. Jahrestag des Fliegerbombenangriffs auf Freiburg gab es die erste große Ausstellung zur NS-Zeit, 2016 dann die zweite. All das ist das Ergebnis jahrzehntelanger und kontinuierlicher Auseinandersetzung mit der Geschichte.
Die Eröffnung nun begehen Sie mit einem beeindruckenden Programm: Mit Filmen, Workshops, Gedenkveranstaltungen oder Stolperstein-Führungen, mit Konzerten und Lesungen. Und Sie beziehen vor allem auch immer Jugendliche mit ein. Sie erinnern an die Biographien von Verfolgten und gehen in Austausch mit den Nachkommen, von denen ich auch einige hier heute Abend begrüßen darf. Ich freue mich sehr, dass auch Sie Ihre Geschichte teilen und mit dazu beitragen, dass das Ihrer Familie angetane Unrecht sich nicht wiederholt.
Sie werfen einen Blick auf Dr. Gertrud Luckner, die sich während der NS-Zeit als Mitarbeiterin der Caritas auf vielfältige Weise für Verfolgte einsetzte: Sie überlebte das KZ Ravensbrück und engagierte sich nach 1945 für die Entschädigung und Erinnerung an die Verfolgten und Ermordeten. Der Mann, der sie an die Gestapo verraten hatte, machte nach dem Krieg Verwaltungs-Karriere in der badischen Regierung unter Leo Wohleb und wurde 1955 von der Albert-Ludwigs-Universität zum Ehrensenator ernannt.
2017 distanzierte sich die Universität davon, was gut ist – und längst überfällig. Aber es zeigt, wie lange die Täter noch unbehelligt sein konnten, wie frei sie sich bewegen konnten – und wie vergessen lange Zeit die Opfer des Nationalsozialismus waren. Mit dem NS-Dokumentationszentrum bekommen die Opfer nun einen Namen, einen Platz in der Mitte der Stadt, im Herzen des Dreiländerecks Deutschland, Frankreich und Schweiz.
Zur Bedeutung der politischen Bildungs- und Gedenkstättenarbeit wird im Anschluss Frau Thelen als Leiterin der LpB näher eingehen. Liebe Frau Thelen, Ihnen und all Ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern an dieser Stelle mein herzlicher Dank im Namen des Landtags von Baden-Württemberg für Ihre so wichtige und qualitativ hochwertige Arbeit! Die Kooperation mit dem NS-Dokumentationszentrum und der Stadt Freiburg ist ein Gewinn für alle Beteiligten.
Meine Damen und Herren,
Der israelische Holocaustforscher Yehuda Bauer sagte, vor fünf Jahren schon: „Es ist nicht 1933. Aber die Gefahr ist da.“ In der Weimarer Republik war Deutschland gezeichnet vom Ersten Weltkrieg. Daraus konnten die Nazis Kapital schlagen. Es gab auch noch keinen früheren Versuch als Demokratie. Heute leben wir in einem der wohlhabendsten, demokratischsten, freiheitlichsten und friedlichsten Staaten der Erde. Mit einer der stärksten Verfassungen der Welt. Deshalb müssen Populisten eine Notlage erfinden. Sie brauchen die Lüge vom Staatsversagen. Sie überzeichnen die Probleme bis zum Unheil, um sich als Heilsbringer aufzuspielen. Und diese Lüge wirkt weltweit.
Schauen wir in Deutschland nicht teilnahmslos zu, wie das Erbe der Wahrheit verdreht, verzerrt, verbogen wird! Wie man dreiste Desinformationen und dumpfe Demagogie als Meinungsfreiheit verkauft, ja Meinungsfreiheit sogar als Kampfbegriff nutzt! Wie man diejenigen in Verruf bringt, die vor der Gefahr warnen! Wie die Rechtsextremen SA-Parolen salonfähig machen, Adolf Hitler als Linken bezeichnen und die NS-Zeit als einen „Vogelschiss der Geschichte“. Schauen wir nicht zu, wie die Demokratieverachtung und Menschenfeindlichkeit weiter einsickert in unsere Gesellschaft!
Mein Dank gilt allen, die so unermüdlich daran arbeiten, nie zu vergessen und die Erinnerung weiterzugeben. Die daran arbeiten, die Erinnerung in tätiges Handeln zu übersetzen, damit unsere freiheitlich-demokratische Grundordnung gewahrt bleibt. In Freiburg tun Sie dies in vorbildlicher Weise.